Schreckensbleich
eigenen Festnetzanschluss.
»Sie wissen genau, wer hier ist.«
Hunt ging hinaus ins Wohnzimmer. Er konnte den Garten sehen, die große Tonne, in der Roy die Bettwäsche verbrannt hatte.
»So eine dumme Frage«, fuhr Grady fort. »Was haben Sie denn gedacht, wer hier dran wäre?«
»Glauben Sie etwa, Sie finden mich?«
»Ich dachte, ich fang mal mit Ihrer Frau an und frage sie.«
»Sie ist nicht da.«
»Ja, das ist Pech für mich, aber ich glaube, für Sie ist das noch größeres Pech.«
»Das ist überhaupt kein Pech.« Eine Pause entstand und Hunt hörte, wie etwas zu Bruch ging; Glas, dachte er, es hätte aber auch eine Lampe oder ein Spiegel sein können.
»Wie heißt das braune Pferd mit dem weißen Fleck auf der Nase?«
»Hermes.«
»Clever«, meinte Grady.
Gewehrschüsse waren zu hören, dreimal schnell hintereinander. Sonst hörte Hunt nichts. Er hörte das Pferd nicht, oder wie die Kugeln trafen. Das Handy hing in seinen Fingern, und er lauschte und wusste nicht recht, was er sagen sollte.
»Wie viele Pferde halten Sie hier?«, wollte Grady wissen.
Hunt antwortete nicht.
»Für mich sind das nur Tiere. Ich wette, für Sie sind sie etwas ganz anderes.«
»Warum machen Sie das?«
»Sie wissen genau, dass ich Ihre Frau finden werde. Ich finde sie, und dann können wir das hier noch mal durchziehen. Soll ich dann noch mal anrufen?«
»Wenn Sie sie finden könnten, dann hätten Sie es schon getan. Sie haben einfach nur gehofft, dass sie da sein würde.«
»Nein, ich hatte gehofft, Sie wären hier.«
Wieder hörte Hunt das Gewehr feuern. Diesmal hörte er das Pferd aufschreien. Er hörte es abermals schreien.
»Bei dem hier lasse ich mir Zeit«, bemerkte Grady.
»Ich bringe Sie um«, sagte Hunt, und er dachte bei sich, dass er das wirklich ernst meinte. Zum ersten Mal merkte er, dass es ihm wirklich ernst war. Wieder das Gewehr.
»Die wird nie ein Rennen laufen.«
»Sie sind krank.«
»Sie könnten dafür sorgen, dass es aufhört.«
»Sie haben nichts in der Hand, und Ihnen schwimmen die Felle davon.«
»Ich kann ja mit Ihrer Frau anfangen, und dann hole ich mir das Mädchen. Die muss ich wohl sowieso kaltmachen, um die Drogen aus ihr rauszuholen. Das kann ich alles erledigen, bevor ich mir Sie vornehme. Wahrscheinlich lasse ich Sie zuschauen. Sie wollen jemanden retten, Sie wollen dieses letzte Pferd retten? Dann sollten Sie herkommen und sich mit mir treffen. Ich garantiere Ihnen, es geht ganz schnell. Sie sind sowieso schon tot.«
»Das Mädchen ist tot.«
»Das wäre sehr großes Pech für Sie. Sie hat Ihnen Zeit verschafft.«
»Sie wissen verdammt noch mal überhaupt nichts.«
»Ich weiß, wo Sie sehr bald sein werden.«
»Ja, ganz bestimmt.«
»Sie werden sich nicht mit mir treffen, oder?«
»Was glauben Sie?«
»Vielleicht möchten Sie ja zuhören? Diese Geräusche werden Ihnen noch sehr vertraut werden.«
Hunt hörte, wie Grady den Hörer hinlegte. Er nahm an, dass Grady sich im Schlafzimmer befand, wo man vom Fenster aus die Weide und die Pferde sehen konnte. Das verletzte Pferd gab diesen Klagelaut von sich, einen Laut, den er nur ein einziges Mal von einem Pferd gehört hatte, einem Pferd, das mit gesplittertem Knochen neben der Bahn auf der Seite gelegen hatte. Hunt hörte den Schuss, dann nichts mehr.
***
Grady ging wieder nach unten. Es hatte ihm ein gewisses Vergnügen bereitet, die beiden Pferde zu erschießen. Mit einer Hand strich er an der Wand entlang und summte beim Gehen vor sich hin. Es war ein selbstgemachtes Lied, vielleicht etwas, das er früher einmal gehört hatte, wenn auch jetzt verändert und in einem anderen Zusammenhang verwendet. In der anderen Hand hielt er das Gewehr. Als er am Fuß der Treppe ankam, ging er zu dem kleinen Kamin im Wohnzimmer und machte Feuer. Er ließ es immer höher auflodern. Dann setzte er sich auf die Couch und sah fern. Er genoss die Vorstellung, Hunts Leben Stück für Stück auseinanderzunehmen, als löse man Sehne und Faszie voneinander, Sehne und Muskel, als zerlege man ihn in seine einzelnen Bestandteile.
Als das Feuer ungefähr zehn Minuten gebrannt hatte und er sehen konnte, wie sich allmählich ein Holzkohlebett bildete, nahm er rotglühende Scheite und schob sie unter die Couch. Andere legte er unter die Vorhänge. Der Geruch von Rauch und verbranntem Plastik machte sich im Zimmer breit. Er ging in die Küche und drehte alle Ventile am Herd auf, bis er Gas zischen hörte. Draußen regnete es noch immer. Er
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