Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
Vom Netzwerk:
eigentlich seit dem Sommer, arbeitet sie in einem Charity Shop in Ely. Als ehrenamtliche Mitarbeiterin. Zwei Nachmittage die Woche, das ist bisher alles. Aber es ist ein Anfang, ein Schritt nach vorn.«
    »Ist sie jetzt dort?«
    »Nein. Sie ist zu Hause. In ihrem Zimmer.« Alice Fell zögerte. »Ich habe über Ihren Vorschlag nachgedacht. Dass Sie ihr ein paar Fotografien zeigen wollen. David und ich habendarüber gesprochen, und wir halten es nicht für richtig. Das sollte nicht alles wieder aufgerührt werden.«
    »Aber wenn sie ihn identifizieren könnte   …«
    »Können Sie sich vorstellen, was passieren würde, wenn sie den Mann identifiziert, der sie missbraucht hat? Was es in ihr auslösen würde, wenn sie alles noch einmal durchmachen müsste?«
    »Ich weiß«, sagte Will. »Es ist ein Risiko, ich weiß. Aber wenn es der Mann ist und Christine ihn identifiziert, kann er verhaftet werden und muss für das bezahlen, was er ihr angetan hat. Nicht nur Christine, sondern auch anderen.«
    Alice Fell stellte ihren Becher auf den Boden. »Ich kann verstehen, warum es wichtig ist. Aber es ist ein Risiko, das ich nicht eingehen will. Um Christines willen.«
    »Und wenn man sie fragt? Sie könnte natürlich nein sagen.«
    »Und wenn sie ja sagt?« Sie schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, Inspector, aber ich habe miterlebt, wie meine Tochter ganz allmählich wieder an einen Punkt kommt, an dem sie vielleicht ein normales Leben führen kann. Ich bin nicht bereit, diese Entwicklung zu gefährden, um keinen Preis. Wenn der Mann auf den Fotos derjenige ist, der meiner Tochter das angetan hat, müssen Sie ihn auf eine andere Weise zu fassen kriegen.«
    Sie brachte ihn an sein Auto und gab ihm höflich die Hand. Die Katze hatte sich zwischen den Büchern auf ihrem Arbeitstisch zusammengerollt. Es wurde Zeit, dass sie alles einsammelte und ins Haus brachte. Sie würde eine heiße Schokolade oder Ovomaltine für Christine machen und ihr nach oben bringen. Wahrscheinlich würde David bald anrufen und sagen, dass er auf dem Nachhauseweg sei, und sie würde zur Begrüßung eine Flasche Wein aufmachen, etwas Vollmundiges und Aufheiterndes. Heute Abend könnten sie vielleicht ein Feuer im Wohnzimmerkamin machen; die Zeit war gekommen.

32
     
    Sie hatte es lange genug hinausgeschoben. Ruth konnte keinen plausiblen Grund mehr finden, nicht den Zug nach Cambridge zu nehmen und einkaufen zu gehen. Jigsaw, H&M, Topshop, Miss Selfridge, Monsoon, River Island, Gap, Oasis, French Connection. Nicht zu vergessen Tammy Girl. Und dann verbrachten sie Stunden   – für Ruth schienen es jedenfalls Stunden zu sein   – damit, kleine Glitzerteile bei Accessorize zu betrachten.
    »Kommt Ihnen das bekannt vor?«, hatte PC Dyer gefragt.
    Eine goldene Kette mit den Buchstaben HEATHER.
    »Sie hat sie in Penzance gekauft«, hatte Pauline Efford erklärt. »Von ihrem Taschengeld. Sie fand sie   – sie fand sie einfach schön.«
    Ruth bewahrte sie in einem cremefarbenen Strampler auf, den Heather als Baby getragen hatte. Er lag zusammengefaltet ganz hinten in der Schublade, in der sie ihre Handschuhe und Schals und ein paar weitere von Heathers Sachen verwahrte: ein T-Shirt mit Minnie Mouse auf der Vorderseite, ein rotes Kleid, das Heather mit vier getragen hatte, eine Latzhose.
    »Mum«, sagte Beatrice plötzlich. »Schau mal. Sind die nicht cool?« Sie hielt ein Paar Ohrringe in die Höhe: silberne Spiralen, in denen sich das Licht fing.
    »Beatrice«, sagte Ruth müde. »Das ist doch längst erledigt. Du wirst dir keine Ohrlöcher stechen lassen und damit basta.«
    »Das ist doch bescheuert.«
    »Nein, ist es nicht.«
    »Alle haben Ohrlöcher, nur ich nicht.«
    »Ich bezweifle, dass das stimmt. Und außerdem weißt du ganz genau, dass du in der Schule keine Ohrringe tragen darfst. Erst ab der zehnten Klasse, also hat es gar keinen Sinn.«
    »Und was ist mit Ohrsteckern? Die darf ich tragen.«
    »Beatrice, ich möchte diese Diskussion nicht noch einmal führen. Nicht hier.«
    »Dann lass es doch sein.«
    Ruth schloss die Augen und versuchte, bis zehn zu zählen. Sie war in so vielen Geschäften gewesen, hatte geduldig vor so vielen Umkleidekabinen gestanden, hatte bewundert, Einwände erhoben, abgeraten, widerstrebend gutgeheißen, schließlich so oft ihre Bankkarte gezückt, dass sich ihr Kopf wie Watte anfühlte. Oder noch schlimmer. Und ihre Füße begannen zu schmerzen. Ihre Waden auch. Sie wollte nur noch den Bus zum Bahnhof nehmen,

Weitere Kostenlose Bücher