Schrei der Nachtigall
es ihr nicht sagen. Bitte!«, stieß Müller flehend hervor, dem jetzt nicht nur der Schweiß auf der Stirn stand, auch unter seinen Achseln hatten sich zwei riesige Schweißflecken auf dem Hemd gebildet.
»Das hängt ganz von Ihnen ab. Ich weiß, dass Sie und Wrotzeck regelmäßig bestimmte Etablissements aufgesucht haben, und ich will die Namen und Adressen.«
Müller nannte sie mit stockender Stimme, zündete sich eine weitere Zigarette an und bat Brandt noch einmal inständig, nichts davon seiner Frau gegenüber zu erwähnen.
»Wie oft haben Sie sich abends dort aufgehalten? Und sagen Sie die Wahrheit, ich finde es so oder so heraus.«
»Bis zu dreimal in der Woche«, brachte Müller mühsam hervor, den Blick zu Boden gerichtet, als würde er sich schämen. »Aber meist nur zweimal pro Woche, meine Frau wäre sonst misstrauisch geworden.«
»Das kostet eine Menge Geld. Bringt Ihr Beruf so viel ein, dass Sie sich das leisten können?«, fragte Brandt mit hochgezogenen Brauen. Und als er keine Antwort bekam: »Nun sagen Sie schon, können Sie sich das leisten?«
»Wrotzeck hat mich oft eingeladen.«
»Ach ja, er hat Sie also eingeladen«, sagte Brandt hart und unnachgiebig. »Wie nobel von ihm. Er lädt Sie in den Puff ein und begleicht die Rechnung, egal, wie hoch die ist. Er hat Ihnen die Frauen und den Schampus spendiert … Hab ich das richtig verstanden?«
»Ja.«
»Das war die falsche Antwort.«
Müller schaute erschrocken auf. Er zitterte, die Zigarette fiel ihm fast aus der Hand. »Was meinen Sie damit?«
»Ganz einfach, Sie und Wrotzeck haben gemeinsame Sache gemacht. Wenn ich Ihre illegalen Geschäfte melde, können Sie Ihre Praxis dichtmachen, das ist Ihnen hoffentlich klar.«
»Wovon reden Sie? Ich habe keine illegalen Geschäfte getätigt …«
Brandt erhob sich, stellte sich mitten ins Zimmer und sah auf Müller hinab. »Allmählich hab ich die Faxen dick. Es kostet mich einen Anruf, und ich habe innerhalb von einer halben Stunde ein paar Beamte mit einem Durchsuchungsbeschluss hier, und dann wird die Praxis und auch Ihre Wohnung in ihre Einzelteile zerlegt. Doch Sie können sich das ersparen, wenn Sie sich ab sofort kooperativ zeigen. Denn ich wette, meine Kollegen würden so einiges hier finden. Ich sage nur Bullensamen.«
Müller kratzte sich aufgeregt am Hals und stieß hervor: »Mein Gott, das war Wrotzecks Idee! Er hat mich gefragt, ob man da nicht was türken könne, und ich hab ihm gesagt, ja, klar, man kann alles. Also haben wir’s gemacht. Doch es war allein seine Idee!«
»Das lässt sich jetzt nicht mehr beweisen, aber ich denke eher, Sie haben das zusammen in einem dieser Puffs ausgeheckt. Und Sie haben ordentlich dafür abkassiert. Und was noch? Da war doch auch noch was mit Medikamenten, oder?« Brandts Frage war ein Schuss ins Blaue, von dem er nicht wusste, ob er treffen würde.
»Nennen Sie mir einen Arzt, der nicht irgendwie rumtrickst. Ohne die … Zuwendungen … der Pharmaindustriekönnte keiner von uns existieren, egal, ob das Ihr Hausarzt ist oder ich. Überall wird doch heutzutage was gedreht.«
»Da mögen Sie recht haben. Aber kommen wir zu etwas anderem. Was können Sie mir über Wrotzecks Familienleben sagen? Wie hat er seine Frau und seine Kinder behandelt? Und bitte erzählen Sie mir nicht, er hätte nie mit Ihnen darüber gesprochen. Also?«
»Warum fragen Sie nicht seine Frau und seinen Sohn?«
»Das hab ich bereits. Ich möchte es aber trotzdem auch noch von Ihnen hören. Und bitte, ich habe noch einen wichtigen Termin.«
»Er hat sie nicht sonderlich gut behandelt. Mehr weiß ich nicht.«
Brandt fasste sich ans linke Ohrläppchen und meinte: »Wenn ich mit jemandem zehn Jahre oder länger befreundet bin, vorausgesetzt, es handelt sich um eine echte Freundschaft, dann weiß derjenige eine ganze Menge aus meinem Leben. Wrotzeck war ja, wie ich schon erwähnt habe, alles andere als beliebt. Er hatte nur einen einzigen Freund, und das waren Sie. Was hat er Ihnen über seine Familie erzählt?«
»Er hat nie etwas erzählt, ich habe nur einige Male mitbekommen, wie er seine Frau verbal niedergemacht hat. Und es heißt, er soll sie auch geschlagen haben. Mehr weiß ich nicht. Wenn ich so drauf wäre, würde ich es auch nicht erzählen, nicht mal meinem besten Freund.«
»Wurde er auch andern Leuten gegenüber brutal?«
Müller zuckte nur mit den Schultern und sah Brandt ängstlich an. Es war eine Angst, die Brandt schon oft gesehen hatte. Nur, wovor
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