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Schrei der Nachtigall

Schrei der Nachtigall

Titel: Schrei der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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das so?«
    »Um Ihnen die Angst zu nehmen, mir alles zu sagen.«
    »Was erwarten Sie von mir? Soll ich Ihnen mein ganzes Leben erzählen? Aber gut, ich war achtzehn, als ich Kurt kennenlernte, es war auf dem Schützenfest, und er wurde zum zweiten Mal hintereinander Schützenkönig. Er war sechs Jahre älter und ein stattlicher Kerl. Wir haben nur ein halbes Jahr später geheiratet, ein paar Monate daraufwurde Thomas geboren. Anfangs lief alles ganz gut, bis Kurt sein wahres Gesicht gezeigt hat. Er hat Regeln aufgestellt, die nicht gebrochen werden durften. Regeln, die für alle Familienmitglieder galten. Nur, da lebten seine Eltern noch, und er hat sich zurückgehalten.«
    Als sie nicht weitersprach, fragte Brandt: »Inwiefern zurückgehalten?«
    »Mein Mann war ein Sadist. Er hat alles getan, um andere zu zerstören. Wenn er sah, dass es jemandem gut ging, dann war ihm jedes nur erdenkliche Mittel recht, dies zu ändern. Er ergötzte sich geradezu daran, andere leiden zu sehen. Die einzigen Personen, die er einigermaßen gut behandelt hat, waren die Leute, mit denen er Geschäfte getätigt hat. Als mein Schwiegervater starb, habe ich mich um meine Schwiegermutter gekümmert, die sehr getrauert hat. Sie hat sich in ihrem Zimmer verkrochen und hat nur noch aus dem Fenster gestarrt. Für sie war mit dem Tod ihres Mannes das Leben vorbei. Meinen Mann jedenfalls hat das kalt gelassen, ihm war das alles völlig egal, eine andere Erklärung gab es nicht. Kurz darauf ist sie an Krebs erkrankt und kaum ein Jahr nach dem Tod meines Schwiegervaters gestorben. Ich habe sie bis zum bitteren Ende ganz allein gepflegt. Die Kinder haben das kaum mitbekommen, sie waren auch noch viel zu klein.« Sie holte tief Luft und sah an Brandt vorbei aus dem Fenster. »Er war nicht mal da, als sie im Sterben lag, obwohl er wusste, dass es sich nur noch um Stunden handeln konnte. Ich habe ihre Hand gehalten, als sie eingeschlafen ist. Sie wollte ihren Sohn noch einmal sehen, bevor sie die Augen für immer schloss, aber er hat ihr den Gefallen nicht getan. Sie hat sofurchtbar gelitten, und ich auch. Jemandem in der Stunde seines Todes die Hand zu halten, das ist schrecklich und gleichzeitig etwas ganz Besonderes. Jedenfalls hat sie gelächelt, als sie gegangen ist.«
    Sie machte eine Pause, stand auf, holte zwei Gläser und eine Flasche Wasser und schenkte ein.
    »Nach ihrem Tod«, fuhr sie fort und nahm wieder Platz, »konnte er endlich schalten und walten, wie es ihm gefiel. Er war ja nun der unumstrittene Herrscher im Haus und auf dem Hof.«
    »Ihre Schwiegereltern waren noch relativ jung, als sie starben.«
    »Mein Schwiegervater war siebenundfünfzig, meine Schwiegermutter dreiundfünfzig. Für die heutige Zeit ist das sehr jung.«
    »Um noch mal auf die Leute zurückzukommen, die er gut behandelt hat. Was ist mit Dr. Müller?«
    »Was soll mit ihm sein? Er ist unser Tierarzt.«
    »Und er war der Freund Ihres Mannes. Sagt er jedenfalls.« Brandt log bewusst, um herauszufinden, was Liane Wrotzeck über die Beziehung zwischen ihrem Mann und Müller wusste.
    »Mag sein. Müller ist seit vielen Jahren unser Tierarzt, und wenn sich daraus eine Freundschaft zwischen Kurt und ihm entwickelt haben sollte, mein Gott, was interessiert
mich
das?! Kurt ist zu Huren gegangen, und das war auch gut so.«
    Brandt fiel das Gespräch mit Thomas ein, der behauptet hatte, es seiner Mutter nicht erzählt zu haben.
    »Woher wissen Sie das mit den Huren?«, fragte er.
    »Kurt hat es mir selbst gesagt, das heißt, er hat nur gemeint, dort würde er wenigstens bekommen, was er hier nicht kriegt. Und das war’s. Ich möchte aber nicht, dass Thomas es erfährt.«
    »Entschuldigung, aber er weiß es schon längst.«
    Liane Wrotzeck schüttelte zaghaft den Kopf und kaute auf der Unterlippe. »So ist Thomas, er kann schweigen wie ein Grab. Aber ganz ehrlich, es war keine Demütigung für mich, ich habe ganz andere Dinge ertragen müssen.«
    »Frau Wrotzeck, Sie und Ihr Mann haben doch in getrennten Betten geschlafen, oder? Jedenfalls lässt sein Zimmer diesen Schluss zu.«
    »Ja, dadurch habe ich wenigstens die meiste Zeit meine Ruhe gehabt, zumindest in den letzten vier Jahren. Ich hatte mein Zimmer, er seins. Das hat ihn aber nicht davon abgehalten …« Sie stoppte mitten im Satz, biss sich auf die Unterlippe und meinte dann: »Unsere Ehe war schon seit ewigen Zeiten keine Ehe mehr, die bestand nur noch auf dem Papier.«
    Brandt schaute zur Uhr und wollte gerade

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