Schrei in der Nacht
stimmt nicht.«
»Laß mich ausreden. Hör nur zu.« Er redete jetzt schnell.
»Joe hat gedroht, allen zu sagen, daß er gesehen hat, wie ich in das Auto stieg. Ich konnte ihn nicht reden lassen. Ich habe geträumt, ich hätte Gift unter den Hafer gemischt. Aber ich weiß, daß es kein Traum war. Ich dachte, Du würdest das Baby akzeptieren, aber Du hast gewußt, daß es nicht von Dir war. Ich dachte, es wäre bestimmt besser für unsere Ehe, wenn das Baby nicht am Leben bliebe. Der Kleine nahm all meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Tina hat gesehen, wie ich in sein Zimmer ging. Sie hat gesehen, wie ich ihm die Hände aufs Gesicht drückte. Versprich mir bitte, daß Du mich nie mit den Kindern allein lassen wirst. Ich bin nicht verantwortlich für das, was ich tue.«
Der Füller fiel ihr aus der Hand. »Nein!«
»Wenn du diesen Brief schreibst und unterzeichnest, komme ich zurück. Ich lege ihn in den Safe. Niemand wird je davon erfahren.«
»Erich, bitte. Das kann nicht dein Ernst sein.«
»Jenny, ich kann Monate fortbleiben, notfalls sogar Jahre. Das weißt du. Ich ruf dich in ein oder zwei Wochen wieder an. Überleg es dir.«
»Ich schreibe das nicht.«
»Jenny, ich weiß, was du getan hast.« Seine Stimme wurde herzlich. »Wir lieben einander. Wir wissen es beide. Aber ich kann nicht riskieren, dich zu verlieren, und ich kann es nicht darauf ankommen lassen, daß du mit den Mädchen fliehst, sobald du mit ihnen allein bist.«
Es klickte. Sie starrte auf die Muschel, starrte auf das zerknüllte Blatt Papier in ihrer Hand.
»O Gott«, sagte sie. »Bitte hilf mir. Ich weiß nicht, was ich machen soll.«
Sie rief Fran an. »Wir kommen nicht.«
»Jenny, warum nicht? Was ist passiert?« Die Verbindung war schlecht. Selbst Frans volle Stimme klang unendlich fern.
»Erich ist mit den Mädchen verreist. Ich weiß nicht, wann sie zurückkommen.«
»Jenny, soll ich kommen? Ich habe vier Tage frei.«
Erich wäre außer sich vor Zorn, wenn Fran sie besuchte. Ihr Anruf im Krankenhaus hatte ihn hellhörig gemacht, so daß er erriet, was Jenny vorhatte.
»Nein, Fran, komm bitte nicht. Und ruf auch nicht an.
Aber bete für mich. Bitte.«
Sie konnte nicht in dem großen Schlafzimmer schlafen.
Sie konnte oben nirgends schlafen: der lange dunkle Flur, die geschlossenen Türen, das Zimmer der Mädchen gegenüber von ihrem Schlafzimmer, das Zimmer, wo der Kleine in jenen wenigen kurzen Wochen geschlafen hatte.
Statt dessen legte sie sich auf das Sofa an dem gußeisernen Herd und deckte sich mit der Stola zu, die Rooney gehäkelt hatte. Die Heizung schaltete um zehn Uhr automatisch ab. Sie beschloß, im Herd Feuer zu machen. Das Holz lag in der Wiege. Die Wiege schaukelte, als sie sie berührte. Oh, mein Pummel, dachte sie verzweifelt und erinnerte sich an die ernsten Augen, die ihren Blick ruhig erwidert hatten, die kleine Faust, die sich um ihren Finger geballt hatte.
Sie konnte diesen Brief nicht schreiben. Erich könnte ihn bei seinem nächsten Ausbruch von Eifersucht dem Sheriff geben. Wie lange würde er fortbleiben?
Sie hörte die Uhr eins schlagen… zwei… drei… Irgendwann döste sie dann ein. Ein Geräusch weckte sie.
Balken und Sparren knarrten und ächzten — aber es war sicher einfach das Haus. Nein, sie hörte Schritte. Oben ging jemand.
Sie mußte wissen, wer es war. Langsam zwang sie sich, Stufe für Stufe, die Treppe hinauf. Sie zog die Stola fest um ihre Schultern, weil ihr so kalt war. Der Flur war leer. Sie zwang sich, in das große Zimmer zu gehen, die Deckenlampe anzuknipsen. Es war niemand da.
Erichs altes Zimmer. Die Tür stand einen Spalt offen.
War sie vorhin nicht geschlossen gewesen? Sie ging hinein, knipste die Lampe an. Niemand.
Doch, da war etwas. Sie fühlte ganz deutlich, daß jemand dagewesen war oder sogar noch da war. Ein Wesen, ein Ding? Was war es? Der Fichtennadelgeruch.
War er wieder stärker? Sie konnte es nicht mit Sicherheit sagen.
Sie ging ans Fenster. Sie mußte es öffnen, sie brauchte frische Luft. Die Hände auf dem Sims, schaute sie hinunter.
Eine Gestalt stand im Hof, die Gestalt eines Mannes.
Das Mondlicht tanzte auf seinem Gesicht. Es war Clyde.
Was machte er hier? Sie winkte ihm zu.
Er drehte sich um und lief fort.
33
Den Rest der Nacht lag sie wach auf dem Sofa und horchte. Manchmal meinte sie Geräusche zu hören, Schritte, eine Tür, die zufiel. Einbildung. Alles nur Einbildung.
Um sechs stand sie auf und merkte, daß sie sich nicht einmal
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