Schrei vor Glück: Zalando oder shoppen gehen war gestern (German Edition)
mit einer Politik der Öffnung. Unmittelbar nach dem Amazon-Film bittet Zalando eine sehr kleine Gruppe Journalisten zur Besichtigung seiner Logistikstandorte. Mit fast schon rührender Detailgenauigkeit führen die Verantwortlichen vor, warum nach ihrer Ansicht Zalando der bessere Logistik-Arbeitgeber sei und was sich an den Standorten seit dem Zoom-Film schon verbessert habe: Gelenkschonende »Bewegungsimpulsmatten« seien auf dem Betonboden verlegt worden, die Raum-Temperatur werde ständig kontrolliert und es gebe kostenfreie Getränke für alle Mitarbeiter sowie ein neues Abluftsystem für die Toiletten samt Eingangs-Sichtschutz aus dem Baumarkt. Sogar mit einer gemeinschaftlichen WC-Besichtigung sollte demonstriert werden, dass hier nun alles bestens sei. Die Arbeitsbedingungen in Großbeeren waren nach dem ZDF-Film sogar Thema im Landtag. »Eine Sonderprüfung des Landesamtes für Arbeitsschutz ergab keine grundsätzlichen Beanstandungen» – das erwähnt Schröder gleich mehrfach.
Nicht einmal mit der Gründung eines Betriebsrates hätte er Probleme. Nur bisher habe es in der Logistik noch keinen Versuch gegeben, einen ins Leben zu rufen. »Ich habe keine negative Einstellung gegenüber Betriebsräten. In der Produktion für die Internetseiten haben wir ja auch schon einen Betriebsrat«, sagt Schröder. Aber, und das muss er dann doch noch loswerden: »Es ist unsere Aufgabe, die Mitarbeiter glücklich zu machen, aber nicht die Gewerkschaft.« Einstweilen müssen zur Mitarbeiterbeglückung der analoge Kummerkasten und die direkte E-Mail-Verbindung der Mitarbeiter zum Chef vor Ort reichen. Und ein Busticket auf Firmenkosten samt Verlängerungen von Buslinien zu den Standorten. In Erfurt ist die Bushaltestelle vor dem Firmengelände sogar in Zalando-Orange angestrichen. Über den Spruch »Endstation Zalando« kann man hier verständlicherweise aber nur bedingt lachen.
Sie haben bei Zalando offenbar gerade noch rechtzeitig erkannt, welche verheerenden Folgen für Image und Geschäft eine unsensible Augen-zu-und-durch-Politik in der hochsensiblen Frage der Arbeitsbedingungen haben könnte. Auf der Fahrt zwischen Standorten auf dieser »Wir-sind-die-Guten-Tour« wird der Geschäftsführer, der mit kaum 30 Jahren die Logistik für Europas größten Fashion-Onliner aufgebaut hat, selbstkritisch. Offenbar hat er erkannt, dass der jugendliche Tatendrang der Führungscrew auch seine Schattenseiten haben kann: »Es war ein großer Fehler, dass wir das Thema Arbeitsbedingungen nicht früher angefasst haben. Wenn ich noch einmal eine Firmen-Logistik von null aufbauen müsste, würde ich mich viel früher darum kümmern.«
Und dann versucht er zu erklären, warum es so kam, wie es kam: In einem jungen, kleinen Unternehmen gebe es zunächst nämlich ganz andere Sorgen: nämlich die schlichte Existenzsicherung. »Weil man immer weiß, dass das Geld nur für ein paar Monate reicht. Darauf legt man den Fokus: Wie kommen wir über die Runden?« Die Arbeitsbedingungen seien noch kein Thema, wenn man gerade 30 Leute beschäftige, die für die gemeinsame Aufgabe brennen. »Dann kann man sich auch nicht vorstellen, dass man irgendwann 1000 Leute haben wird und dass dann die Arbeitsbedingungen ein Thema sein werden. Das Unternehmen wächst und wächst. Aber wann ist der richtige Zeitpunkt, vom kurzfristigen Überlebenskampf der Frühzeit umzuschalten hin zur Schaffung von Bedingungen, mit denen man Grundlagen für die nächsten Jahre legt? In der Bewegung ist es sehr schwierig, das zu entscheiden. Hinterher weiß man dann, dass man es früher hätte tun sollen. Aber klar, das Wachstumstempo darf keine Ausrede sein«, sagt Schröder. Er will nicht einmal widersprechen, wenn man sagt, dass dann ein solcher Anstoß von außen wie jener Film wahrscheinlich gar nicht so schlecht gewesen sei.
Und Verträge wie den mit dem Logistikdienstleiter würde er heute auch wohl nicht mehr so ausgestalten, dass er den Mitarbeitern in Großbeeren mit 7,50 Euro gerade den Mindestlohn zahlen darf, während die Leute bei Zalando selber mindestens einen Euro mehr verdienen. »Der größte Augenöffner war für mich, dass es nicht reicht, gute Arbeitsbedingungen in den Vertrag mit einem Dienstleister hineinzuschreiben. Er arbeitet zwar im Namen Zalandos, wir haben aber nur begrenzte Einflussmöglichkeiten. Mit dem Wissen von heute würden wir sehr viel mehr Standards in einen solchen Vertrag schreiben, als wir es 2010, zwei Jahre nach der Gründung
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