Schrei vor Glück: Zalando oder shoppen gehen war gestern
die
Strukturverschiebungen in der Branche mehr ignorieren, zumal die Experten über
Jahre hinaus von weiter deutlich zweistelligen Zuwachsraten ausgingen.
Vielleicht nicht für alle Teilbranchen, aber für die meisten, auf jeden Fall
für Schuhe und Textilien. An den Umsatz-Entwicklungen im Mutterland von Amazon
und ebay, das Europa und vor allem Deutschland im E-Commerce weit voraus war,
konnte längst jeder sehen, dass diese Prognosen nicht nur Spinnerei von
irgendwelchen wachstumstrunkenen Internetfreaks waren, sondern Realität.
Zwar vollzog sich der Wandel in Deutschland und ganz Europa
schleichend, doch zeichneten sich 2008 und 2009 zwei ganz besondere Wegmarken
ab. Denn in diesem Zeitraum kann man die Wachablösung ganz konkret an den
gegensätzlichen Entwicklungen zweier Firmen festmachen: Es war die Zeit von
Arcandors Absturz und Zalandos Aufstieg.
Nach Jahren der Stagnation, Konzeptlosigkeit und schrumpfenden
Umsätze drohte Europas größte Versand- und Warenhauskonzern Arcandor im
September 2008 wieder einmal das Geld auszugehen. Nach der Pleite des
US-Bankhauses Lehman Brothers war einer der drei Kreditgeber abgesprungen, die
Royal Bank of Scotland. Konzernchef Thomas Middelhoff schusterte in größter Not
mit dem Bankhaus Sal. Oppenheim in Köln eine Finanzierung zusammen, die nur bis
zum Juni 2009 terminiert war. Der Handelskonzern, dessen größte Warengruppe
traditionsgemäß Textilien und Schuhe darstellten und der im Geschäftsjahr
2007/2008 noch einen Umsatz von fast 20 Milliarden Euro auswies, war insolvent.
Die Folge war die Zerschlagung, und viel blieb nicht übrig. Der
Universalversender Quelle verschwand vollständig vom Markt, selbst die
Wiederbelebung als Marktplatz quelle.de unter dem Dach des bisherigen
Hauptkonkurrenten Otto scheiterte. Auch Neckermann stellte später – ebenfalls
insolvent – das Geschäft ein. Die früheren Konzerntöchter Hertie und Wehmeyer
machten ebenfalls zu, SinnLeffers konnte sich nach der Insolvenz immerhin in
verkleinerter Form über Wasser halten. Zusammen hatten diese Händler Milliarden
Umsätze mit Mode erzielt.
Und mitten in diese Marktbereinigung platzten nun die jungen
Onliner. Die Branche verspürte nach dem Platzen der Dotcom-Blase ihren zweiten
Wind. Die Zukunft hatte offenbar begonnen. Just als Karstadt im Oktober 2010
mit Müh und Not durch seinen Neueigentümer Nicolas Berggruen vor der Insolvenz
gerettet worden war, verhandelte Zalando mit Tengelmann-Chef Haub über dessen
Millionen-Investition. Die kam dann Ende 2010 genau zum richtigen Zeitpunkt, um
auf dem Markt der verunsicherten und unter niedrigen Gewinnmargen ächzenden
Schuh- und Modehändler mit voller Finanzpower und jugendlichem Schwung
anzugreifen – und zum anderen die durch das Verschwinden der zahlreichen
ehemaligen Arcandor-Marken frei gewordenen Fashion-Umsätze abzugreifen. In der
Insolvenz hatte Karstadt bereits viele seiner Onlinespezialisten und deren
Know-how verloren. Mehrere von ihnen wechselten die wenigen Kilometer von Essen
nach Mülheim – zu Haubs Onlinehändler plus.de .
Arcandor/Karstadt steht hier durchaus stellvertretend für jene
Teile des klassischen Einzelhandels, die den virtuellen Innovationen und
Neuerungen skeptisch bis feindselig gegenüberstanden oder die zu wenig Geld
dafür in die Hand nehmen wollten. Und Zalando meint dabei nicht nur Zalando,
sondern auch alle anderen jungen Wilden, die den Dinosauriern der Branche die
Beute abjagen wollten.
Seit diesem Zeitpunkt nämlich nimmt der neue Handel dem alten
Handel konsequent so dramatisch Marktanteile ab, dass es den Konventionalisten
angst und bange wird. Stationäre Händler stellen in ihren Läden schon iPads
auf, über die die Kundschaft bestellen kann, was gerade nicht im Regal ist.
Damit zumindest die junge Kundschaft überhaupt noch in die Städte kommt und
nicht nur noch dem Sofa-Shopping oder dem Mobile Commerce per Smartphone frönt.
So sehr hat der Onlinehandel, der ja nichts anderes ist als der alte
Katalogversand mit Elektroantrieb, unsere Einkaufsgewohnheiten in nicht einmal
zwei Jahrzehnten schon verändert.
Die Folgen sind längst in den Fußgängerzonen, vor allem in
denen der kleineren und mittleren Städte, zu besichtigen. Immer mehr kleine
Händler geben auf, Ladenlokale stehen leer, Bürgermeister machen sich Sorgen um
die Zukunft ihrer Innenstädte. Nicht zu Unrecht, denn in vielen Fußgängerzonen
und Rathäusern herrscht Ratlosigkeit, wie man diesem Phänomen begegnen
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