Schreib und stirb (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)
Gründe sind nicht immer krimineller Natur.
„Ah, Herr Baumgarten, Steff Schwager hat mir von Ihnen erzählt. Willkommen, treten Sie ein.“
Ein bisschen sah es aus wie bei Nick, in der Wohnung von Cuno von Ottenfels, dem früheren Präsidenten des Aargauer Kuratoriums. Die Villa lag im selben Quartier und war vermutlich ebenso in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts gebaut worden, vielleicht sogar vom gleichen Architekten. Hohe Räume, Stuck, alte Riemenböden prägten den ersten Eindruck, und die Bibliothek, in die Nick jetzt geführt wurde, hatte ausser neuen Fenstern und einem Laptop auf dem Schreibtisch wenig Bezug zum einundzwanzigsten Jahrhundert. Der Hausherr war etwa fünfundsiebzig Jahre alt und trug sein schütteres graues Haar über die Glatze gekämmt, ein Detail, das Marina überhaupt nicht gefallen hätte. Er trug einen dunkelblauen Hausmantel aus schwerer Seide, wie ein englischer Lord, dachte Nick. Aber er hatte es sich längst abgewöhnt, Menschen auf Grund von Äusserlichkeiten wie Kleidung und Haarschnitt einzuschätzen, auch weil er selbst in dieser Hinsicht nicht über alle Zweifel erhaben war.
Die Unordnung hingegen, die in dem Zimmer herrschte, raubte sogar dem erfahrenen Polizisten den Atem. Auf jedem Zentimeter Oberfläche lagen Papierbündel, Bücher, Magazine, die Fensterbänke dienten als Ablage für Bundesordner, am Boden waren Schriftstücke ausgebreitet. Bevor er Kaffee servieren konnte, verschob von Ottenfels zwei Dutzend Plastikmäppchen in unterschiedlichen Farben vom Tisch auf die Tastatur seines Computers, die einzige freie Fläche. Er zwinkerte seinem Gast zu. „Ich finde alles, Herr Baumgarten, ich habe auch während meines Berufslebens nie anders gearbeitet, trotz der Verzweiflung meiner Sekretärinnen. Es steckt ein System in diesem Chaos, und vor allem habe ich Ordnung im Kopf.“ Er entschuldigte sich nicht, es war nur eine Erklärung. „Nun, Sie ermitteln in einem Mordfall, und Sie möchten Informationen von mir. Lassen Sie mich anmerken, dass mir der tragische Tod von Guido Bär sehr Leid tut und dass ich Ihnen helfen werde, wo ich kann. Schiessen Sie los.“
„Ich kenne mich nicht sehr gut aus, Herr von Ottenfels, wenn es um Musik, Malerei oder Literatur geht. Bis vor ein paar Tagen machte ich mir nie Gedanken darüber, woher das Geld kommt, das Künstler verdienen; ich ging davon aus, dass der Verkauf von Büchern, Konzerttickets oder Bildern die einzige Einnahmequelle ist. Dass nur ganz wenige Personen in der Schweiz von ihrer Kunst leben können, war mir nicht bewusst, bis Steff Schwager mich aufklärte.“
Von Ottenfels nickte und lächelte. „Das geht vielen Menschen so, Herr Baumgarten, machen Sie sich kein Gewissen. Ich darf Ihnen kurz darstellen, wie sich die kulturellen Geldflüsse zusammensetzen. Fünfundneunzig Prozent der Künstlerinnen und Künstler hier im Aargau leben von Einkünften aus Lehraufträgen und anderen nebenberuflichen Engagements, seien das Deutschlektionen am Gymnasium, Feuilletonartikel für Zeitungen oder Violinstunden für kleine Kinder. Andere arbeiten am Fliessband oder im Büro, um ihre Miete zu bezahlen. Ich sage nicht, dass sie alle unglücklich sind dabei, aber sie sollten im Grunde ihre Zeit und ihr Talent nicht damit verschwenden müssen. Deshalb gibt es auch das, was wir im weitesten Sinn als staatliche Kulturförderung bezeichnen, das heisst Steuergelder, die auf verschiedene Art an Institutionen, Gruppen und Einzelpersonen fliessen. Die Schlösser Lenzburg, Hallwyl und Wildegg zum Beispiel sind Unternehmen, die vom Kanton geführt und bezahlt werden, während das Aargauer Sinfonieorchester jährlich einen siebenstelligen Betriebsbeitrag erhält und zusätzlich von einer grossen Bank gesponsert wird. Einzelpersonen erhalten Gelder aus dem Lotteriefonds oder vom Aargauer Kuratorium; dabei handelt es sich meistens um Beträge von ein paar Tausend Franken, geknüpft an bestimmte Projekte wie einen Film, oder einen Gedichtband.“
„Guido Bär hat nie davon profitieren können. Warum nicht?“ Die Ausführungen des Kulturkenners von Ottenfels waren zwar spannend, aber Nick hatte einen Mordfall zu lösen. „Steff Schwager hat angetönt, dass es immer die gleichen Leute sind, die einen Preis erhalten, oder dass es sich zumindest um einen kleinen, überblickbaren Kreis handelt, aus dem sich sowohl Juroren wie Jurierte rekrutieren. Kann das sein?“
„Das dürfen Sie nicht allzu ernst nehmen, Journalisten lieben
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