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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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der Wahl, etwas überhaupt nicht zu erwähnen, weil man weiß, dass es wahrscheinlich übertrieben aufgenommen werden wird, oder es hinzuschreiben im Interesse der eigenen Wahrheit.
    Ich habe dieses Problem im
Goldenen Notizbuch
erwähnt. Zum Beispiel Menstruation. Ich glaube nicht, dass Menstruation vor diesem Buch als Gegenstand der Betrachtung Eingang in Romane gefunden hat. Im Fall des
Goldenen Notizbuches
erregte sie bei den Rezensenten unverhältnismäßig starkes Aufsehen. Aber dann verlor die Menstruation, was die gesellschaftlich akzeptierte Form von Wahrnehmung des eigenen Körpers anbelangt, ihre Schockwirkung, und das Wort (und die Idee) nahm wieder seinen angestammten Platz im Satzspiegel eines Buches ein und wurde kaum noch bemerkt. Masturbation ist ein weiteres Wort, das die Macht zu schockieren verloren hat. Jedenfalls beinahe. Das hängt vom Kontext ab. In
Ada oder Das Verlangen
beschreibt Nabokov, wie sein Held onaniert, weil er ein Mädchen, das sich nach ihm sehnt, nicht verführen will, und sich auf diese Weise gegenüber seinem eigenen Begehren immunisiert. Das schockiert aufgrund seiner Grausamkeit gegenüber dem Mädchen. Nicht wegen des Akts. Aber vor gar nicht langer Zeit wäre es noch der Akt selbst gewesen.
    Drei oder vier Monate lang zu viel getrunken zu haben erscheint mir heute als das am wenigsten Interessante an Erinnerungen aus jener Zeit, denn das, was mir eigentlich in den Sinn kommt, ist etwas, das mehr dem Licht eines Wetterleuchtens gleicht, ein heller Glanz. 1958 war das Internationale Geophysikalische Jahr, und es hat, was Aufregung und »Wunder« angeht, kein vergleichbares Jahr gegeben. Wir erhielten ständig neue Informationen über den Weltraum und die Raumfahrt und außerdem über die Antarktis, die für mich schon immer »Ultima Thule« war. Es war das Jahr, in dem die Menschen beschlossen, die Antarktis zum Eigentum der gesamten Menschheit zu machen und überall, nicht nur in der Antarktis, bei Forschung und Entdeckungen zusammenzuarbeiten, ihr Wissen zu teilen. Manchmal treffe ich Leute, und das Jahr 1958 kommt zur Sprache: »Mein Gott, was für ein Jahr das war! Etwas so Aufregendes hat es seither nicht wieder gegeben.«
    In der Langham Street war ich nur einen kurzen Spaziergang von den Neuen Linken und ihrem Revier auf der anderen Seite der Oxford Street entfernt, und manchmal schauten sie bei mir herein. Ich war zu einer Art Tantenfigur geworden, definitiv ein Mitglied der Alten Garde.
    Inzwischen hatten die Neuen Linken die
New Left Review
gegründet, von der ich gestehe, dass ich sie für unlesbar hielt, obwohl ich offiziell zu ihren Unterstützern zählte und dem Komitee angehörte. Es gibt eine Art von akademisch polemischer Schreibweise, die leblos ist. Ein Wort, das sich leicht verwenden, aber nur schwer definieren lässt. Das Schreiben entspringt Vernunftschlüssen, als ob eine Maschine Ideen produzierte, die von anderen Ideen genährt werden und nur selten etwas zu tun haben mit dem, was »im wirklichen Leben« vorgeht. Aber diese Tatsache gehört zu etwas, das Polemiker selten registrieren. Was haben all diese Hekatomben an Analysen, Argumenten und Debatten wirklich bewirkt? Oder verändert? Haben sie den britischen Sozialismus beeinflusst? Ein neues Großbritannien geschaffen? Sind sie Bestandteil der Programme der politischen Parteien geworden? Es gilt als selbstverständlich, dass, wenn eine »neue Welle« da ist, sie auch ihr Publikationsorgan haben muss, und die neuen jungen Leute zerpflücken die Logik des Seienden und schreiben gedankenvolle Artikel, aber das meiste davon geht in einem Vakuum vor sich. Die Antwort darauf lautet für gewöhnlich: »Aber es schafft ein Meinungsbild und verändert indirekt unser Denken.« Es brachte in der Tat Leute hervor, die später Bücher schrieben, deren Ideen sich nicht in der
New Left Review
gefunden hatten, denn sie hatten sich weiterbewegt, und ich nehme an, man könnte argumentieren, dass diese Bücher Weiterentwicklungen dieser tapferen neuen Artikel waren. Wenn eine »neue Welle« hochgeschwappt oder über einen hinweggedonnert ist und man die Leute fragt, die sie ausmachten: »Also, was habt ihr eigentlich erreicht?«, dann lautet die Antwort fast immer: »Ich habe eine Menge gelernt.« Und genau das sage ich, wenn man mich nach der Kommunistengruppe in Südrhodesien fragt. Was haben das Herumrennen und Redenhalten, die Zeitungen und das Taktieren tatsächlich bewirkt? »Ich habe eine Menge gelernt.«

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