Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
Vom Netzwerk:
für
Unter der Haut
in Großbritannien und Amerika, in den Niederlanden, Irland und Frankreich Werbung zu machen. Die alten Verleger wussten, dass Schriftsteller Stille und Frieden brauchen, dass man sie in Ruhe lassen muss und keine öffentlichen Auftritte von ihnen verlangen darf. Aber heute entwickeln wir uns notgedrungen zu gespaltenen Persönlichkeiten. Die eine, die wahre Persönlichkeit wandert in ihrem Zimmer umher, lässt die Gedanken schweifen, träumt, fördert Substanz aus ihrem tiefsten Inneren zutage. Die andere setzt ein Lächeln auf und macht es sich zur Aufgabe, »eine Persönlichkeit« zu sein.
    Die Veränderung nahm ihren Anfang mit dem Geiz der Verleger, die kein Geld für Werbung ausgeben wollten. Sie verließen sich ausschließlich auf die Rezensionen. Dann wurden die Autoren um Interviews gebeten. Die kosten den Verleger nichts, und Zeitungen und Zeitschriften müssen schließlich ihre Seiten füllen. Ein Schneeballsystem. Schriftsteller wurden aufgrund ihres Lebens, ihrer Persönlichkeit bekannt, wurden zu Berühmtheiten. Interviews und Kurzbiografien stiegen im Kurs. Vor ungefähr zehn Jahren kamen die Literaturfestivals in Mode. Sie waren ein Erfolg, und heute gibt es jedes Jahr neue. Sie spekulieren dreist mit dem Schriftsteller als Persönlichkeit. Zu ihnen pilgern Tausende von Lesern, von denen viele sich mehr für die Persönlichkeit des Autors als für dessen Bücher interessieren. Das bedeutet keineswegs, dass der Leser, der sich einen Vortrag von einer Berühmtheit angehört hat, sofort loszieht, um sich das entsprechende Buch zu kaufen: Das eine ist oft der Ersatz für das andere. Das übergroße Interesse am autobiografischen Element in der Arbeit eines Schriftstellers erfährt hier seine Erfüllung: Wenn man Shelley leibhaftig gesehen hat, weshalb sollte man dann noch sein Werk lesen?
    Und dann sind da die Signierstunden, das Irrationalste aller mit »Promotion« verbundenen Phänomene. Man hält einen Vortrag oder veranstaltet ein Seminar, und dann sitzt man an einem Tisch, vor dem lange Schlangen geduldig auf das Signieren ihrer Bücher warten. Die Menschen messen der Signatur einen hohen Wert bei, ohne zu begreifen, dass sie nicht wertvoller ist als alles andere, was von einem Fließband kommt. Sie wissen, dass dieser Autor oder diese Autorin jährlich Hunderte oder Tausende von Büchern signiert. Endlich sind sie vor ihm oder ihr angekommen, halten ein Buch hin, das sie gerade gekauft haben oder auch nicht, denn oft bringen sie Exemplare aus ihrer Bibliothek mit und sagen: »Bitte schreiben Sie ›Für Marie‹, ›Für Bobby‹, ›Für Marcelle‹, ›Für Jack‹, bitte schreiben Sie ›Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Pat‹, ›Fröhliche Weihnachten, Jorges‹.« Zu Beginn von dem inbrünstigen Anliegen erfüllt, für die Ehre der Literatur einzutreten, und vielleicht früher sogar imstande, absurde Botschaften zu verweigern, bricht der Autor oder die Autorin schließlich unter dem Andrang zusammen und ist willens, alles zu tun, um dieses elende Geschäft zu einem Ende zu bringen. Um nicht den Verstand zu verlieren, denkt er oder sie insgeheim, dass früher einmal Schriftsteller schüchtern ein Buch für einen guten Freund signierten: »Cassandra, von Jane«; »Dorothy, von William«. Was hätten sie zu dieser Fließbandarbeit gesagt? Einmal hat man mich aufgefordert, sechstausend Exemplare eines neuen Buches zu signieren; ich habe mich geweigert. Doch in einem Fall habe ich dreitausend signiert. Wozu? Insgeheim glaube ich, wenn ich genügend Exemplare signiere, wenn wir alle das tun, dass dann die Leser begreifen werden, wie lächerlich das ist. Vor ein paar Jahren machte unter den Studenten in Oxford ein Scherz die Runde: »Ich habe nur das unsignierte Exemplar von …« Wie kann man einer Signatur einen derartigen Wert beimessen? Man denkt an die lange und geduldig in Schlangen ausharrenden Menschen, die auf eine Signatur warten, die dann tatsächlich gesehen haben, wie der Autor oder die Autorin dort saß, ungefähr eine Stunde geredet und Fragen beantwortet hat. Nun wissen sie, dass der Autor oder die Autorin ein Mensch ist wie sie, dass er oder sie völlig erschöpft sein muss und sie innerlich verflucht. Aber sie kommen, sie kommen!
    In einem Hotel in Sizilien erlebte ich, wie dessen Direktor hinter seinem Schreibtisch stand, mir eines meiner Bücher entgegenhielt und befahl: »Für meine Mutter Maria. Und darunter: Mit ehrerbietigen Wünschen.« Die ganze

Weitere Kostenlose Bücher