Schritte im Schatten (German Edition)
Hopkins? Wer ist das? Ich glaubte, das wäre ein weiteres kleines Beispiel für das britische Philistertum, das mir so oft begegnete; später begriff ich, dass ich hier auf die verborgene Schicht einer vergangenen literarischen Kultur gestoßen war, eine Art Ablagerung. Irgendwann in den zwanziger oder dreißiger Jahren war man für kurze Zeit zu der Überzeugung gelangt, dass Auden der einzige, der wahre Dichter war. Armer alter Eliot, armer alter Yeats.
Dieses Philistertum ist in Großbritannien und vor allem in London endemisch. Während ich dies hier schreibe, besteht der beliebteste Zeitvertreib an den Esstischen darin, voller Stolz die Liste der großen Bücher zu rezitieren, die man nicht gelesen hat und auch nicht zu lesen gedenkt. Eine namhafte Zeitung, der
Independent
, hat eine wöchentliche Rubrik, »Alles, was Sie über die Bücher wissen müssen, die Sie eigentlich lesen wollten«, in der der Inhalt von, sagen wir,
Krieg und Frieden
kurz zusammengefasst wird. (Was, verstehen Sie keinen Spaß?) Es ist nur allzu leicht, sich das triumphierende Lächeln des Mannes vorzustellen, der diese kleinen Resümees schreibt, in denen er ein Meisterwerk auf das Niveau der Antwort in einer Schulprüfung reduziert.
Irgendwann in den Siebzigern habe ich einen satirischen Artikel für den
Spectator
geschrieben, in dem ich Sätze von Meredith (
The Ordeal of Richard Ferverel
) und – ich glaube – D. H. Lawrence benutzte, um zu beweisen, dass bestimmte schwülstige Passagen genauso gut in irgendeiner populären Liebesgeschichte hätten stehen können. Das wurde als Verunglimpfung empfunden, und sofort kamen die Briefe, die die Großen auf den Kehricht warfen. Goethe – wie deutsch! Cervantes – wie langweilig (ein besonders beliebtes Beiwort). Stendhal – so etwas von Weitschweifigkeit. Der geringste Vorwand, und schon stürzen sie hervor, diese Hunde, die es nicht abwarten können, den Körper der Literatur in Stücke zu reißen.
Rebecca West, eine intelligente und kultivierte Frau, hat einmal gesagt, Goethes gesamte Philosophie lasse sich in einem Satz zusammenfassen: »Ist die Natur nicht großartig?« Und da haben wir es, das echte Grunzen aus dem Sumpf.
Was die Briten – nein, die Engländer – am meisten lieben, sind kleine, überschaubare Romane, vorzugsweise über die Nuancen des Klassendaseins oder gesellschaftliches Verhalten.
Ich sagte zu Naomi, sie und ihre Familie hätten eine instinktive Vorliebe für das Zweitklassige – was die Literatur angehe. Es ist erstaunlich, mit welchen Grobheiten Leute aus den Kolonien und andere, nicht dem Gesetz unterworfene Tieferstehende durchkommen: Wir wissen es eben nicht besser. Und dann kam der traurige Tag, an dem ich begriff, dass ich nicht mehr damit durchkam: Ich und meine Zunge mussten lernen, lieber zu schweigen.
Weshalb bin ich nach Carradale gefahren, wenn es mir dort nicht sonderlich gut gefiel? Natürlich wegen Peter.
Es waren die Mitchisons alle zusammen, als Clan, die mir missfielen, aber wenn man sie einzeln nahm, lagen die Dinge völlig anders. Ich habe mich oft mit Naomi in ihrem Club am Cavendish Square zum Lunch getroffen. Was mir an ihr besonders gefiel, waren ihre Vitalität, ihr Überschwang an Lebensfreude und das völlige Fehlen von Heuchelei, wenn sie mir von der neuesten Episode in ihrem Liebesleben erzählte. Naomi war von ihrem Vater, dem großen Wissenschaftler John Scott Haldane, auf die Dragon School in Oxford geschickt worden. Es war eine Jungenschule, und sie war das einzige Mädchen gewesen. Ich glaube, das hat vermutlich den Kurs ihres Liebeslebens bestimmt. Mit sechzehn, als, wie sie sagte, »ich immer noch in der Schule war, mit lang herunterhängenden Haaren«, wurde sie mit Dick Mitchison verlobt, einem gut aussehenden jungen Soldaten. Sie kannte ihn kaum. Ihre Ehe war meiner Meinung nach der Inbegriff der Vernunft und des zivilisierten Betragens. Sie hatte ihre Liebesabenteuer und er zumindest eine lange andauernde Affäre. Die beiden waren die allerbesten Freunde. Viele Leute beobachteten diese Ehe, bewunderten sie, und vor allem junge Leute empfanden sie als gut. Ich erinnere mich an eine Unterhaltung zwischen zwei jungen Mädchen in Carradale, die beide nicht heiraten wollten. »Aber diese Art Ehe hat es schon immer gegeben, daran ist nichts Neues.«
»Ja, es liegt alles offen zutage. Keine Heuchelei, keine Lügen.« Denn für derart junge Leute waren Heuchelei und Lügen die schlimmsten all der üblen
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