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Schroders Schweigen

Schroders Schweigen

Titel: Schroders Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amity Gaige
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Gesicht.
    »Bist du wach?«, flüsterte ich.
    Auf einem Schreibtisch in der Ecke des Raums stand eine Lampe. Ich ging hin und zog an der Kette. Meadow nahm ihren Arm vom Gesicht.
    »Willst du was essen?«, fragte ich und hob die Schale.
    Sie warf mir einen Blick zu, ohne etwas zu sagen.
    »Du redest immer noch nicht mit mir?«
    Achselzuckend rollte sie sich auf die Seite und stach auf das Kopfkissen ein, auf dem sie lag.
    Bei Sonnenuntergang, als wir die Berge fast hinter uns gelassen hatten, hatte April verkündet, dass sie pinkeln müsse und war ohne weiteren Kommentar vom Highway auf einen von wilden Rhododendronbüschen gesäumten Kiesweg abgefahren. Wir hielten in einer Parkbucht und stiegen aus. Mit flatterndem Kaftan rannte April in den Wald. Meadow und ich gingen schweigend den Hügel hinauf. Als wir den Hügelkamm erreichten, blickten wir auf das Wasser eines Bergsees, der spiegelglatt im Innern einer Bergspitze lag, als wenn jemand die Spitze des Berges abgeschlagen und sich der Rest mit Regenwasser gefüllt hätte.
    Große Wolken rasten im zuckenden Wind über uns hinweg und trieben lilafarbene Schatten über den See; mir war fast so, als rasten wir durch die Jahre selbst. Meadow griff nach meiner Hand. Das überraschte mich – deswegen erinnere ich mich daran –, dass sie mich immer noch irgendwie brauchte, egal wie undurchschaubar, wie zwiespältig dieses Bedürfnis auch sein mochte. Und ich erinnere mich, dass dieses Greifen nach meiner Hand der Grund war für alles, was ich im Anschluss tat und was mich an den Punkt führte, an dem ich jetzt bin und dieses Schriftstück verfasse. Denn diesen Augenblick betrachte ich als den Beginn meines Verschwindens. Das Verschwinden desjenigen, der ich gewesen war, um genau zu sein. Natürlich bin ich immer noch hier – alle wissen ganz genau, wo ich bin –, aber als sie meine Hand berührte, merkte ich, wie mein Äußeres, mein Betrug von mir abfielen.
    In der Dunkelheit vor der Hütte wurde eine Tür zugeschlagen. Ich sah durch die Plastikscheiben und versuchte zu erkennen, ob April tatsächlich vorhatte, uns zu verlassen. Sie startete den Motor und wartete nur kurz im Leerlauf, bevor sie uns dort zurückließ, und wir waren wieder zu zweit, im Schatten des Ragged Mountain. Und auf diese Weise wurde mir der letzte Fluchtweg abgeschnitten. Ich starrte auf mein trübes Spiegelbild im Plastik.
    »Meadow«, sagte ich. »Es gibt da ein paar Dinge, die ich dir wohl mal sagen muss.«

SECHSTER TAG
    Ich will nicht aus der Menge herausragen. Anders gesagt, ich befürchte, dass ich mich als allzu außergewöhnlich dargestellt habe und dass du mich nicht so siehst, wie ich wirklich bin. Abgesehen von meinem berühmten Nachnamen unterscheidet mich so gut wie nichts von all den anderen Männern und Frauen, die am amerikanischen Familiengerichtssystem gescheitert sind. An den unabänderlichen Entscheidungen und am gesetzlich geforderten Gehorsam in Fragen der größten Dringlichkeit. Aber eigentlich geht es hier um mehr, meinst du nicht auch? Ich blicke da nicht durch.
    Die durchschnittliche amerikanische Ehe hat eine Lebenserwartung von sieben Jahren. Dabei hat die Zahl Sieben natürlich symbolische Bedeutung. Es gab die sieben Weltwunder. Die sieben Hügel Roms. Die Sieben zieht sich durch alle Religionen (die sieben Tage der Schöpfung, die sieben Himmel im Islam, die sieben Chakren und natürlich die sieben Todsünden). Nehmen wir unsere Ehe, die prompt in ihrem siebten Jahr zu Ende geht, als Idealfall einer Scheidung. Ihr Schluss hat etwas Langsames, wie ein Balletttanz. Wie schon erwähnt, hatte ich kaum das Gefühl, aktiv daran teilzuhaben. Und doch, im Jahr unserer Trennung, Meadows fünftem Jahr auf Erden, gesellten wir uns zu einer Million anderer Paare in Trennung oder Scheidung und verwiesen unsere Tochter damit in die Ränge der zehn Millionen Kinder, die mit getrennten oder geschiedenen Eltern leben müssen, unzweifelhaft die größte Teilmenge, zu der sie jemals gehören wird. Angeblich geht jede siebte jener Scheidungen mit einem Sorgerechtsstreit einher. Das heißt, im selben Jahr sind etwa 200.000 vergrätzte Eltern vor ein Familiengericht gezogen und haben zigtausend Dollar hingeblättert, um am Ende noch frustrierter zu sein als vorher. Im Grunde haben sie sich ins eigene Fleisch geschnitten. Sie sind zu Geistesgestörten geworden. Denn natürlich gibt es nur eine Sache, die uns wahrhaftig verstört, und das ist das Verschwinden der Liebe.
    Selbst in

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