SchrottT (German Edition)
Ehrlichkeit anhalten.«
»Nichts dagegen«, sagt Colin. »Um ehrlich zu sein: Diese Klammern sind ganz schön unangenehm.«
»Auf die Klammern kommen wir gleich zurück«, sagt Verena. »Natürlich bedeutet es eine Einschränkung der persönlichen Freiheit, wenn man sich an gewisse Regeln halten muss. Es fehlt dann die Freiheit, diese Regeln zu übertreten. Nehmen wir ein Beispiel: Angenommen, Sie reisen mit einem Zug. Sie haben eine Fahrkarte gekauft. Allerdings werden Sie bis zum Endbahnhof nicht kontrolliert. Was denken Sie?«
»Dann hätte ich ja gar keine Fahrkarte gebraucht?«
»Eine halbe Umdrehung«, ordnet Verena an und nickt den Uniformierten zu.
»Storno bitte!!!«, stöhnt Colin und kneift Augen und Zähne zusammen. Der Schmerz drängelt sich durch seinen ganzen Unterleib.
»Die richtige Antwort lautet: Man braucht überhaupt keine Schaffner, wenn sich jeder an die Regeln hält! Ist das nicht wunderbar? Eine Welt ohne Kontrollen! Leider sieht unsere Realität im Moment anders aus. Und das liegt an Leuten wie Ihnen.«
»Ich … fahre nie Zug«, knirscht Colin.
»So«, sagt Verena, »jetzt habe ich genug erzählt. Ich muss meine Stimme schonen. Morgen habe ich einen Auftritt mit meinem Chor. Sie verstehen das sicher. Also sind Sie an der Reihe. Erzählen Sie von Ihren Umsturzplänen.«
»Ich habe keine«, zischt Colin, der allmählich fürchterlich schlechte Laune bekommt. »Und wenn ich welche hätte, würden sie kläglich scheitern. Meine Band … meine Band steht nämlich vor dem Aus. Sie zerbricht. Im Grunde …« Er schließt die Augen, unterdrückt mühevoll Zittern und Zähneklappern. »Im Grunde fing das schon in Chemnitz an.«
Chemnitz, Stadthalle
»Oh-nein-oh-nein …«, hauchte Lars-Peter. »Ist euch eigentlich klar, wie spät es ist?«
»Wir haben Kaffee getrunken«, sagte Colin.
»Ehrlich gesagt, das Konzert fängt sicher nicht ohne euch an. Aber die Zeiten, in denen auch die Zuschauer zu spät kamen, weil sie genau wussten, dass auch die, äh, Stars unpünktlich waren, sind vorbei. Heutzutage betrachten die Leute fünf Minuten warten als Verschwendung ihrer wertvollen Zeit und wollen ihr Geld zurück.«
»Die Bedienung war langsam«, sagte Colin.
Blondy stand auf. »Lars-Peter hat recht. Auf geht’s. Ihr habt eine Stadthalle zu rocken, und ich muss noch ein paar hübsche BHs raussuchen, die ich auf die Bühne werfen kann. Erzähl mir den Rest von der sizilianischen Hochzeit ein andermal. Dass du’s überlebt hast, weiß ich ja schon.«
»Es war aber knapp«, presste Colin hervor. Irgendwie war ihm nicht nach einem Auftritt. War es möglich, dass ihm der sexuell frustrierte Brillenträger den Tag verdorben hatte? Oder doch eher die Herren mit den Mänteln?
»Verrat mir eins«, sagte Colin zu Lars-Peter, während er von seinem Sessel aufstand. »Woher nimmt die Bruderschaft das ganze Geld? Die Gehälter für die ganzen … Sicherheitsleute müssen schwindelerregend sein. Das Geld für die Auktion muss sich ja auch irgendwann rechnen.«
»Das fragst du mich?« , heulte Lars-Peter. » Das fragst du mich?«
»Anscheinend, ja.«
»Lass ihn«, sagte Blondy, denn Lars-Peter bewegte nur lautlos den Mund, anstatt zu antworten. »Geh einfach davon aus, dass jemand, der aus sogenannten Sicherheitsgründen tun kann, was er will, automatisch keinerlei Geldprobleme hat. Und jetzt denk an heute Abend. Du weißt schon: Bass, Gesang, volle Dröhnung.« Sie knuffte Colin in die Magengegend.
»Uff!«
»Können wir jetzt bitte gehen?«
»Auf sie mit Geschrei«, sagte Colin und nickte.
Lars-Peter marschierte voran und duldete keine Tempoverschleppung. Die drei flogen an Passanten, Mänteln und Geschäften vorbei. Am Ausgang des Einkaufszentrums bremste sie ein Menschenstau. Colin streckte sich, aber die Schaulustigen bildeten einen wirksamen Sichtschutz.
»Oh-nein-oh-nein …«, hauchte Lars-Peter schon wieder und sah dabei so bemitleidenswert aus, dass man ihm am liebsten die Hand getätschelt hätte, verbunden mit einem sanft geflöteten: »Wird ja alles wieder gut.« Bloß wusste jeder, dass dieser Spruch immer eine Lüge war, also behielt man ihn besser für sich, es sei denn, man wollte sich furchtbar blamieren.
Es wurde in der Tat schlimmer. Ein Trupp Mantelträger bahnte sich seinen Weg durch die Menschenmassen. Offenbar führten die Männer eine ältere Frau ab.
Colin korrigierte sich: Sie schleiften die Frau aus einer Drogeriefiliale, als hätte sie Luzifer
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