Schuld währt ewig
mit dieser Lüge nicht wohl und wich Alois’ Blick aus, während er sie aussprach.
Gina gesellte sich zu ihnen. »Ich hab mich mal umgesehen. Kein Auto, kein Fahrrad. Wie ist sie hierhergekommen? Mit öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß oder hat sie jemand gefahren?«
»Außerdem fehlt ihre Handtasche.« Dühnforts Hände waren kalt geworden, er schob sie in die Manteltaschen.
»Vielleicht liegt sie im Wasser. Wir sollten ein paar Taucher anfordern.« Alois holte das Handy hervor, während Dühnfort Leyenfels sich bereits über die Verschwendung von Steuergeldern beschweren hörte. »Erst suchen wir das Gelände ab. Wenn sie hier nicht zu finden ist, dann holen wir die Taucher.«
Dühnfort beobachtete das zögernde Erwachen des Tages. Es erschien ihm wie ein ungleicher Kampf zwischen Hell und Dunkel, als wollte der Tag den Albtraum der Nacht nicht ziehen lassen. Die Sonne stieg, in einen dunstigen Schleier gehüllt, über die Wipfel der Bäume und legte ein diffuses Licht über die Landschaft, wie ein Totenhemd.
18
Als Dühnfort kurz vor neun Uhr die Pinakotheken passierte und in der Gabelsbergerstraße vor einem pastellblau gestrichenen Haus parkte, stand die Sonne als milchige Scheibe am Himmel. Ob sie den Hochnebel heute bezwingen würde, erschien mehr als fraglich.
Am Klingelbord suchte er nach Oberdieck und fand den Namen neben Schubert auf einem Schild, das zum Rückgebäude gehörte. Er klingelte und rechnete nicht unbedingt damit, dass jemand darauf reagieren würde. Doch kurz darauf ertönte der Summer an einem Tor, das den Zugang zum Hinterhof freigab.
Müllcontainer und eine Altpapiertonne standen im Durchgang. Im Hof reckte ein Baum seine nackten Äste in den quadratischen Fleck Himmel hoch über sich. Neben der Haustreppe lehnte ein Rad mit plattem Hinterreifen. Zweite Etage. Das schaffte er zu Fuß.
Als er oben ankam und sich im Flur umsah, wurde eine Tür geöffnet. Eine junge Frau mit dunklem Wuschelkopf musterte ihn. »Haben Sie grad geklingelt?«
Dühnfort nickte. »Ich komme wegen Martina Oberdieck.«
»Sie ist nicht da.«
»Ich weiß.«
»Weshalb kommen Sie dann, wenn Sie wissen, dass sie nicht da ist?«
»Sind Sie mit Martina verwandt?«
Sei runzelte die Stirn. Die Antwort kam zögernd. »Ich bin ihre Freundin. Resa. Wir wohnen zusammen. Ist was mit Tina?«
Dühnfort zog den Ausweis aus seiner Tasche und stellte sich vor. »Können wir hineingehen?«
Die Stirn glättete sich, Resas Augen weiteten sich. Ein fragender und zugleich besorgter Ausdruck erschien darin. »Ihr ist doch nichts passiert?«
»Ich möchte das nicht zwischen Tür und Angel besprechen.«
Zögernd trat Resa zurück und ging voran in die Küche. Offenbar hatte er sie beim Frühstück gestört. Eine Schale Milchkaffee stand auf dem Kiefernholztisch zwischen einer angebissenen Breze, Laptop, Kuli und einem Collegeblock. Kaffeeduft hing in der Luft. Resa blieb vor dem Tisch stehen. Ihre Augen waren eine Spur dunkler geworden, ihr Teint eine Nuance heller. »Was ist mit Tina?«
Wie so häufig überlegte er, wie er eine derartige Nachricht am besten überbringen konnte. Doch der Tod eines Menschen ließ sich einfach nicht beschönigen. Noch dazu, wenn es sich um einen gewaltsamen Tod handelte. »Es tut mir leid. Man hat Martina heute Morgen am Unterföhringer See tot aufgefunden.«
»Was?« Resa ließ sich auf den Stuhl sinken. »Was hat sie denn da gemacht? Im November.«
Dühnfort zog einen Hocker heran und setzte sich. »Das wissen wir noch nicht. Ich brauche ein paar Angaben von Ihnen. Können Sie meine Fragen beantworten?«
Sie zog die Kaffeeschale heran, legte die Hände darum und nickte.
Dühnfort ließ sich die Adresse von Martinas Eltern geben. Sie wohnten in der Nähe von München, in Olching. Dann fragte er, ob Tina einen Freund hatte und wo sie sich gestern aufgehalten habe.
»Tina ist solo, und gestern war sie in der Uni. Sie studiert Germanistik, wie ich. Wir haben beide die Nachmittagsvorlesung besucht, und danach haben wir uns getrennt. Tina wollte sich Winterstiefel kaufen, und ich bin zu American Apparel. Das ist ein Modeladen«, fügte sie hinzu, als sie seinen ahnungslosen Blick bemerkte. »Da jobbe ich. Wieso ist Tina denn tot? War es ein Unfall?«
»Davon gehen wir nicht aus.«
»Sie wurde ermordet? Das kann nicht sein. Alle haben sie gemocht. Sie hatte mit niemandem Zoff. Mit ihr konnte man sich gar nicht streiten. Sie war harmoniesüchtig.«
»Haben Sie Tina später noch einmal
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