Schuld währt ewig
im Papierkorb gefunden. Vielleicht hat Flade seine auch weggeworfen.«
Dühnfort sah es beinahe vor sich, wie Alois’ rechter Mundwinkel ein wenig in die Höhe stieg. Wie immer, wenn er verärgert war.
Nachdem er das Telefonat beendet hatte, blickte Dühnfort hinaus in den Regen, beobachtete, wie die Tropfen an der Windschutzscheibe zerpladderten. Die Braut von Messina. Ein gebildeter Mörder. Oder hatte er das Zitat ergoogelt? Mit welchem Suchwort? Vermutlich Schuld .
Jedenfalls waren sie einen Schritt weitergekommen. Es ging um Rache und Gerechtigkeit. Jemand übte Selbstjustiz und setzte dabei seine eigenen Maßstäbe an. Archaisch und somit primitiv. Also doch kein Bildungsbürger?
Das Telefon in der Freisprechanlage riss ihn aus seinen Überlegungen.
Es war Gina. »Hallo, Tino. Die erste Gemeinsamkeit haben wir schon gefunden.«
»Ja?«
»Du kennst doch unseren Richter Kein Pardon ?«
»Schülke?«
»Genau. Er war damals noch Staatsanwalt und als ziemlich bissig verschrien. Er hatte mit beiden Fällen zu tun. Es hat ihn mordsmäßig geärgert, dass der Oberstaatsanwalt das Ermittlungsverfahren gegen Flade eingestellt hat und er ohne Prozess davongekommen ist. Schülke hat das Ergebnis des Blutalkoholtests angezweifelt. Angeblich war die Entnahme der Blutprobe erst Stunden nach dem Unfall erfolgt. Außerdem kannte Flades Vater den Oberstaatsanwalt. Schülke vermutete also eine Mauschelei, hat sich aber nicht getraut, seine Karriere zu gefährden und seinen Chef hinzuhängen.«
»War das bei Martina ähnlich? War er da auch vehement gegen eine Verfahrenseinstellung?«
»Das habe ich noch nicht herausgefunden. Man könnte ihn ja mal fragen. Noch dazu, wo er an dem Tag Urlaub hatte, an dem Flade starb, und außerdem einen schwarzen Volvo XC 90 fährt.«
»Woher weißt du das denn?«
»Ich hab so meine Quellen.«
Gina hatte jetzt sicher dieses freche Grinsen im Gesicht. Einige der Sommersprossen verschwanden in den kleinen Falten, die sich dann auf ihrem Nasenrücken bildeten. »Du bist toll. Habe ich dir das schon mal gesagt?«
»Ich glaube, du hast es mal erwähnt.«
Eine warme Welle trug ihn Gina ein Stück entgegen, und er genoss dieses Gefühl noch einen Augenblick, bis er ihr von der Postkarte erzählte und welche Schlüsse er daraus zog. Jemand, der sich über das Gesetz stellte und Martina die Tat verschlüsselt angekündigt hatte. »Sie hat das nicht ernst genommen. Die Karte lag im Papierkorb.«
»Hm.« Ein leiser Zweifel lag in dieser Silbe. »Wer schickt denn in den Zeiten von Internet und Mails noch Postkarten? Das ist doch komisch.«
Damit hatte Gina recht. Es war seltsam. »Vielleicht jemand, der keinen PC hat …«
»Heute hat doch jeder einen Computer. Sogar meine achtzigjährige Oma schickt Mails.«
»Dann weiß er, dass man Mails zurückverfolgen kann. Vielleicht hat er keine Möglichkeit, sie von einem Rechner zu versenden, der nicht zu ihm zurückverfolgbar ist.« Eine weitere Möglichkeit stieg in Dühnfort auf. Eine Postkarte war einfach da. Sie lag herum und ließ sich nicht so leicht wegklicken und vergessen wie eine Mail. Sie war einfach präsenter.
»Das wäre eine Möglichkeit«, meinte Gina. »Jedenfalls hast du mit der Vorwarnung recht. Er wollte Martina Angst machen, sie in Panik versetzen. Scheint nicht geklappt zu haben. Aber er hat noch eine weitere Botschaft übermittelt. Er hat ihr nämlich auch gezeigt, wo es passieren wird.«
31
Vorgeführt hatte Tino ihn. Richtig vorgeführt, und das vor der kompletten Soko. Kein Motiv in Sicht. Weit und breit nicht. Dieser sarkastische Tonfall. Ätzend war das. Alois spürte den vibrierenden Schlag seines Bluts in den Adern. Sein Blutdruck war bestimmt bei zweihundert, und das war nicht gesund. Er musste jetzt langsam mal runterkommen von seinem Zorn. Deshalb nahm er nicht den Lift, sondern lief die fünf Etagen bis zu Flades Wohnung zu Fuß empor. Ein richtiges Workout wäre ihm lieber. Heute Abend im Fitnessstudio würde er seinen Ärger abarbeiten. Jetzt musste er seinen Job machen. Verdammt! Warum hatte er das Protokoll nicht vor der Besprechung gelesen? Und Sandra hätte ja auch was sagen können, statt ihn ins offene Messer rennen zu lassen.
Derart geladen wollte er Bettina Flade nicht gegenübertreten. Das würde sie beunruhigen. Er ging, oben angekommen, zum Flurfenster, schloss die Augen und stattete dem Kuhstall seiner Großeltern einen Besuch ab. Wärme umfing ihn. Der Geruch nach Mist und Silage. Das Muhen
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