Schuld währt ewig
dauern?« Mit dem Kinn wies er auf die drei Tonnen im Hof und schob die Zigarette samt Zippo zurück in die Packung.
Alois zuckte mit den Schultern, schlüpfte in den Einwegoverall und machte sich an die Arbeit. Zuerst die Papiertonne. Sie war nicht ganz voll und seine Hoffnung groß, dass die alte Dame ihren Müll ordentlich getrennt hatte. Gott sei Dank regnete es ausnahmsweise einmal nicht. Systematisch arbeitete er sich durch den Inhalt, schichtete Zeitungen, Illustrierte, Cornflakespackungen, Werbesendungen, Kataloge, Pizzakartons und sogar benutzte Papiertaschentücher zu Haufen unter dem Vordach. Nichts. Mist!
Der Müllmann saß neben seinem Kollegen im Führerhaus und beobachtete, wie Alois die Tonne für Wertstoffe hervorzog. Joghurtbecher, Konservenbüchsen, Alufolien, Plastikpackungen, Milchtüten. Vieles davon blitzblank. Alois kapierte das nicht. Die Leute spülten ihren Müll, um die Umwelt zu schonen, und verbrauchten dafür Strom, Wasser und Spülmittel. Normal war das nicht.
Auch in dieser Tonne fand er nichts. Verdammt! Sollte er sich jetzt auch noch durch den Restmüll wühlen? Seine Lust dazu tendierte gegen minus unendlich. Doch er hatte das angefangen, also würde er es auch zu Ende bringen. Er nahm sich die Tonne vor. Langsam wurde es widerlich. Aus den Plastikbeuteln stank es nach faulem Fleisch und gärenden Obst- und Gemüseresten. Kurzentschlossen kippte Alois den Inhalt in den Hof. Der meiste Müll blieb in den Tüten.
Das Fenster des Müllwagens wurde heruntergekurbelt. Der Kopf des Fahrers erschien. »He, Kumpel! Die Sauerei räumst du wieder auf. Damit das klar ist.«
Das werden wir ja sehen, dachte Alois und nahm sich einen Müllbeutel nach dem anderen vor. Als Erstes erwischte er eine offene Packung mit vergammeltem Bierschinken, aus der eine stinkende Flüssigkeit troff, schnitt sich dann beinahe an einer Raviolidose und entdeckte zwei benutzte Kondome. Okay. Ganz sicher keine Tüte aus Haslers Haushalt. Die legte er gleich beiseite.
Während er sich durch die Beutel arbeitete, wurde ihm kalt und seine Finger klamm, und der Gestank nervte allmählich. Verschimmeltes Brot, klebrige Marmeladengläser, vollgeschissene Pampers, davonlaufender Camembert, ein Tampon, benutzt. Er pfefferte die erst halb durchsuchte Tüte auf den Haufen der durchsuchten. Aus dem Alter war die Hasler definitiv raus gewesen. Nächste Tüte. Leere Shampooflasche, Kosmetiktücher mit Make-up-Resten, Wachsstreifen, an denen Haare klebten. Sicher nicht von der Hasler. Nächster Beutel. Er fasste in eine Filtertüte mit Kaffeesatz, förderte etliche Brillenputztücher zutage, eine leere Tube Haftcreme folgte. Das sah schon mal gut aus. Dann mehrere nicht ausgefüllte Lottoscheine, ein Kreuzworträtselheft und bingo: Da war sie. Eine Postkarte. DIN -A6-Format. Vorne drauf ein Foto. Alois wettete seine Budapester: Das Bild war selbstgemacht. Der Fotograf hatte Talent. Auf einem schwarzen Hintergrund lagen Dutzende weißer Pillen zu einem Totenschädel angeordnet. Darunter stand in Computerschrift das Schiller-Zitat. Das Leben ist der Güter höchstes nicht, der Übel größtes aber ist die Schuld. Yes! Alois’ Hand schoss in die Höhe, umschloss einen imaginären Griff und riss ihn herunter. Das hatte sich gelohnt.
Die Anschrift war aufgeklebt. Ein selbst ausgedrucktes Etikett, über dem eine Marke pappte. Der Stempel war verschmiert. Buchholz würde den schon entziffern. Alois zog einen Spurenbeutel hervor und sicherte das Beweisstück. Endlich konnte er das Ganzkörperkondom und die Latexhandschuhe ausziehen. Er knüllte beides zusammen und stopfte es in die Restmülltonne.
Die Türen des Müllwagens öffneten sich. »Hast g’funden, was du g’sucht hast?«, fragte der eine.
»Kann man so sagen.«
»Und jetzt wird aufgeräumt, Kumpel.« Der Fahrer baute sich vor Alois auf. Ein Kerl wie ein Schrank.
»Ist okay. Könnt ihr machen. Ich bin damit durch.«
»Wir?« Der Schrank rückte näher. Alois wich nicht zurück. Wenn der eine Schlägerei provozieren wollte, bitte, an ihm sollte es nicht liegen. Hugo-Boss-Anzug hin oder her. Er hatte lange genug geboxt, um dem ordentlich eine aufs Maul zu geben.
Sie standen sich gegenüber und maßen sich mit Blicken. Der seines Gegenübers glitt an ihm hinab, sondierte die Muskelpakete unter dem Sakko und entdeckte die von der Heckler & Koch verursachte Ausbuchtung auf der linken Brustseite. Unwillkürlich wich er zurück. Damit war es entschieden.
Alois ließ die
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