Schuld währt ewig
hatte Nothilfe geleistet. Das war nicht strafbar.
Die ersten Martinshörner waren zu hören. Alois ging zum Eingang an der Pestalozzistraße und öffnete das Tor. Eine Minute später zuckten Blaulichter, beugte sich ein Notarzt über Helmbichler und schüttelte den Kopf. Die Arbeit begann. Leyenfels erschien. In gewohnt gebückter Haltung kam er auf Dühnfort zu. Bedächtig, behäbig. Dühnfort machte seine Angaben. Alois ebenfalls. Für Leyenfels war die Sache klar. Morgen sollten sie ihre Aussagen zu Protokoll geben. Eine amtsärztliche Untersuchung lehnte Dühnfort ab. Es war ja nichts passiert. Buchholz erschien mit seinem Trupp, gefolgt von Mertens. Alois händigte ihm die Waffe aus, und dann rollte auch schon der Leichenwagen des Städtischen Bestattungsinstituts über den Kiesweg, um Helmbichler in die Rechtsmedizin zur Obduktion zu bringen. Doch erst musste die Weidenbach sich das ansehen. Alles ging seinen Gang. Alles ganz normal. Sein täglich Brot.
Plötzlich verspürte Dühnfort Hunger, und außerdem hatte er Lust auf einen richtigen Drink. Er hob den Beutel mit Feldsalat und Datteltomaten auf, der noch auf dem Kiesweg lag, dort, wo er ihn hatte fallen lassen. »Zeit fürs Abendessen. Kommst du mit, Alois? Es gibt Quiche. Die reicht auch für drei. Und außerdem brauche ich jetzt einen Whisky.«
Den verwunderten Blick, den Gina mit Alois tauschte, bemerkte er, fragte sich aber nicht, was er bedeuten sollte. Ein langer und anstrengender Tag lag hinter ihm. Er wollte jetzt endlich Feierabend machen. »Gehen wir? Die kommen hier ohne uns klar.«
In der Wohnung hängte er den Mantel auf den Bügel im Flur, schaltete den Ofen an und schob die Quiche zum Aufwärmen hinein. Während er den Salat anmachte, trank er ein Glas vom eiskalten Pinot Grigio, lauschte dem Klappern des Geschirrs, mit dem Gina den Tisch deckte, hörte Alois im Flur telefonieren. Evi. War das seine neueste Eroberung?
Unten auf dem Friedhof hatte Buchholz Scheinwerfer aufgestellt. Vermutlich suchten sie noch nach der Patronenhülse. Dr. Ursula Weidenbach war inzwischen eingetroffen. Leyenfels verabschiedete sich von Mertens und marschierte Richtung Ausgang.
Quiche und Salat waren fertig. Sie setzten sich zu Tisch, aßen und tranken Wein. Dühnfort entspannte sich.
»Voigt liegt in keinem Krankenhaus. Die Fahndung nach seinem Wagen läuft. Wenn sich bis morgen zehn Uhr nichts tut, dann bekommen wir den Durchsuchungsbeschluss.«
Wieder tauschten Gina und Alois diesen erstaunten Blick. Was sollte das? Herrgott! Dachten sie, er müsste jetzt in Schockstarre verfallen oder in Panik ausbrechen, oder besser noch, sich traumatisiert in psychologische Behandlung begeben? Es war nichts passiert! Es ging ihm gut! Er hatte Glück gehabt! »Jetzt guckt doch nicht so besorgt. Lasst uns anstoßen, dass ich …« Die Worte dass ich das überlebt habe wollten ihm nicht über die Lippen kommen. »… dass es so glimpflich abgegangen ist. Und natürlich auch auf Alois. Danke! Beim Schießen bist du wirklich der bessere von uns.« Dühnfort hob das Glas. Sie stießen an.
Alois sah mitgenommen aus. Seltsam käsig. »Das ist alles Übungssache.«
»Jetzt mach dich mal nicht klein. Das war ein Meisterschuss. Bei dieser miesen Sicht.« Gina stellte ihr Glas ab. »Wie geht es dir damit?«
Ein Schulterzucken war die Antwort. »Ich habe noch nie auf jemanden geschossen, immer nur auf die Pappfiguren. Und dann gleich …« Einen Augenblick starrte er auf seine Fingernägel. Tadellos manikürt, bemerkte Dühnfort.
Alois ließ die Hände sinken. »Hast du vorher nicht etwas von einem Whisky gesagt?«
Dühnfort holte die Flasche aus dem Schrank. Ein siebzehn Jahre alter Bowmore Islay Single Malt. Etwas für besondere Stunden. Damit stießen sie an. Gina griff nach seiner Hand und drückte sie. »Dass wir zusammen sind, das hast du ja vorher mitgekriegt«, sagte sie an Alois gewandt.
Der grinste. »Bei Idiot ist der Groschen noch nicht gefallen. Erst als du Tino einen hirnrissigen Wahnsinnigen genannt hast, habe ich das kapiert.«
Wieder einmal schob Gina sich mit dieser Geste, die Dühnfort so mochte, eine Haarsträhne hinters Ohr. »Sag mal, was hast du eigentlich da unten gemacht?«
Das Lächeln fror ein.
»Einen Mann erschossen. Und Tino das Leben gerettet.«
56
Domegall öffnete die Tür zur Terrasse und beruhigte Hamlet, der bellend an Sanne hochsprang. »Das ist kein Einbrecher, Hamlet, nur unsere unfreundliche Nachbarin. Also mach sitz.«
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