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Schuldig

Schuldig

Titel: Schuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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wussten, dass jeder mit allem verbunden war – Mensch und Tier, Fremder und Fremder, Ehemann und Ehefrau, Vater und Kind. Wenn du dich schneidest, blutet ein anderer. Rette einen anderen, und vielleicht rettest du dich selbst.
    Daniel erschauderte, als weitere Erinnerungen in ihm aufstiegen. Einzelne Bilder, wie die Kilbuck Mountains in der Ferne, die bei Inversionslage in der bitteren Kälte ganz abgeflacht aussahen. Fremdartige Geräusche, wie der klagende Gesang der Schlittenhunde, die auf ihr Abendessen warteten. Und unverkennbare Gerüche, wie das ölige Band der zum Trocknen aufgehängten Lachse, das vom Fischcamp herüberwehte. Ihm war, als würde er den Faden eines Lebens wieder aufnehmen, das weiterzuweben er vergessen hatte, und als erwartete man von ihm, das Muster nahtlos fortzusetzen.
    Als Laura etwas sagte, fuhr er zusammen. »Was meinst du, wie geht’s weiter?«
    Daniel sah sie kurz an. »Ich weiß es nicht.« Er verzog das Gesicht. »Ich wünschte nur, sie wäre zu mir gekommen, anstatt einfach wegzulaufen.«
    Laura starrte auf den Tisch. »Vielleicht hatte sie Angst, dass du das Schlimmste vermuten würdest.«
    War er so leicht zu durchschauen? Daniel hatte sich zwar eingeredet, dass Trixie Jason nicht getötet hatte, und er würde das auch beteuern, bis ihm die Stimme versagte, aber tief in ihm war die Saat des Zweifels erblüht, und sie erstickte seine Zuversicht. Die Trixie, die er kannte, hätte Jason niemals töten können, aber andererseits hatte sich inzwischen mehr als deutlich herausgestellt, dass es auch eine Trixie gab, die ihm unbekannt war.
    Aber es spielte doch gar keine Rolle. Trixie hätte ihm eröffnen können, dass sie Jason mit bloßen Händen getötet hatte, und er hätte es verstanden. Wer wusste besser als Daniel, dass jeder eine Bestie in sich trägt, die manchmal aus ihrem Versteck kam?
    Er wünschte, er hätte Trixie sagen können, dass sie nicht allein war. In den vergangenen zwei Wochen hatte auch er eine Metamorphose durchlaufen. Er hatte Jason gekidnappt; er hatte den Jungen verprügelt. Er hatte die Polizei angelogen. Und jetzt war er auf dem Weg nach Alaska – dem Ort, den er mehr hasste als jeden anderen auf der Welt. Daniel Stone fiel von ihm ab, eine zivilisierte Schicht nach der anderen, und es würde nicht mehr lange dauern, bis er wieder ein Tier war – so wie die Yupik das glaubten.
    Daniel würde Trixie finden, und wenn er Alaska dafür zu Fuß durchqueren musste. Er würde sie finden, selbst wenn er in seine alte Haut schlüpfen musste – wenn er lügen, stehlen und jeden bezwingen musste, der sich ihm in den Weg stellte. Er würde Trixie finden und sie davon überzeugen, dass sie tun oder sagen konnte, was sie wollte, er würde sie deshalb nicht weniger lieben.
    Er hoffte bloß, dass sie so empfinden würde wie er, wenn sie erst sah, was er für sie geworden war.

    Die Rennleitung für das Kukoskwim 300, kurz K300 genannt, war schon eifrig bei der Arbeit, als Trixie und der Tierarzt kurz nach sechs Uhr eintrafen. An Magnettafeln hingen Listen mit den Namen der Musher sowie Gitterpläne, auf denen notiert wurde, wer wann an den zwölf Kontrollpunkten auftauchte. Hinter einem Tisch saß eine Frau vor einer Reihe von Telefonen und beantwortete wieder und wieder die gleichen Fragen. Ja, das Rennen startete um acht Uhr abends. Ja, DeeDee Jonrowe hatte Startnummer eins. Nein, sie hatten noch nicht genug Freiwillige.
    Leute, die auf Snowmobilen eintrafen, streiften etliche Kleidungsschichten ab, sobald sie das Long House Inn betraten. Alle trugen Stiefel mit extrem dicken Sohlen und Mützen aus Seehundsfell mit langen Ohrenklappen. Manche hatten einteilige Schneeanzüge an, andere kunstvoll bestickte Parkas. Wenn hin und wieder ein Musher hereinkam, wurde er empfangen wie ein Rockstar – die Leute standen Schlange, um ihm die Hand zu schütteln und alles Gute zu wünschen. Jeder schien jeden zu kennen.
    Man hätte meinen können, dass Trixie in dieser Umgebung völlig fehl am Platze gewirkt hätte, aber falls ihre Anwesenheit überhaupt bemerkt wurde, so schien sie niemanden zu stören. Keiner hielt sie auf, als sie sich aus dem großen Topf auf dem Tisch hinten an der Wand bediente und sich kurz darauf einen Nachschlag holte. Es war die erste Mahlzeit seit fast zwei Tagen, und inzwischen hätte ihr einfach alles

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