Schuldig
wäre ich vielleicht einfach weg. Denn das ist wie ein schwarzes Loch: Leute, die in die Wildnis Alaskas gehen, verschwinden vom Angesicht der Erde.«
»Wieso wolltest du denn unbedingt weg?«
Ihr Vater trat an die Spüle und wrang den Wischlappen unter flieÃendem Wasser aus. »Es gab da nichts für mich.«
»Dann wolltest du eigentlich nicht weg«, sagte Trixie. »Dann wolltest du nur woandershin.«
Aber ihr Vater hörte ihr nicht mehr zu. Er packte ihre Ellbogen und drehte die Innenseite ihrer Arme ins Licht.
Sie hatte die Heftpflaster vergessen, die sich im Seifenwasser gelöst hatten. Sie hatte vergessen, ihre Ãrmel nicht hochzuschieben. Jetzt sah ihr Vater neben dem tiefen Schnitt im Handgelenk, der mit zarter neuer Haut überzogen war, die frischen Schnitte, die sie sich in der Dusche zugefügt hatte und die an ihrem Unterarm wie an einer Leiter hochkletterten.
»Schätzchen«, flüsterte er, »was hast du getan?«
Trixies Wangen brannten. Der einzige Mensch, der von ihrer Ritzerei wusste, war Janice, die Beraterin für Vergewaltigungsopfer, und die hatte ihr Vater vor einer Woche aus dem Haus geworfen. Für diesen einen himmlischen Gunstbeweis war Trixie dankbar gewesen. Ohne Janice konnte ihr Geheimnis ihr Geheimnis bleiben. »Es ist nicht so, wie du denkst. Ich wollte mich nicht umbringen. Es ist bloàâ¦Â« Sie schaute zu Boden. »⦠meine Art wegzulaufen.«
Als sie schlieÃlich den Mut fand, wieder aufzublicken, brach ihr der Ausdruck im Gesicht ihres Vaters fast das Herz. Das Monster, das sie an dem Abend auf dem Parkplatz gesehen hatte, war verschwunden, und an seine Stelle war der Vater getreten, dem sie ihr ganzes Leben lang vertraut hatte. Beschämt wollte sie sich aus seinem Griff befreien, aber er lieà nicht los. Er wartete, bis sie aufhörte, sich zu wehren, so wie früher, als sie noch ganz klein war. Dann schlang er so fest die Arme um Trixie, dass sie kaum noch Luft bekam. Und das genügte: Sie fing an zu weinen wie an dem Morgen in der Dusche, nachdem sie von Jasons Tod erfahren hatte.
»Es tut mir leid«, schluchzte Trixie in das Hemd ihres Vaters. »Es tut mir so leid.«
Sie blieben lange so stehen, während das Spülwasser kalt wurde und knochenweiÃes Geschirr auf dem Drahtgestell trocknete. Durchaus möglich, dachte Trixie, dass jeder zwei Gesichter hat: nur konnten manche das besser verstecken als andere.
Vielleicht, dachte Trixie, war sie ihrem Vater ja ähnlicher, als er dachte.
Venice Prudhomme sah Bartholemew ins Labor kommen und lehnte seine Bitte ab, noch ehe er sie überhaupt gestellt hatte. Egal, was er wollte, sie konnte ihm nicht helfen. Sie hatte schon den Drogentest in dem Vergewaltigungsfall vorgezogen, und das war schwierig genug gewesen, weil das Labor gerade von einem Acht-DNA-Loci-System auf ein Sechzehn-Loci-System umstellte und ihr Arbeitsrückstand inzwischen beängstigende AusmaÃe annahm.
Hör mir doch erst mal zu , hatte er gesagt, mit flehendem Unterton.
Venice hatte zugehört, die Arme vor der Brust verschränkt. Ich dachte, es wäre ein Vergewaltigungsfall.
War es auch. Bis sich der angebliche Selbstmord des Vergewaltigers als Mord entpuppt hat.
Und wieso glaubst du, den richtigen Täter zu haben?
Es ist der Vater des vergewaltigten Mädchens, hatte Bartholemew gesagt. Wenn dein Kind vergewaltigt würde, was würdest du mit dem Kerl machen wollen, der ihm das angetan hat?
Letzten Endes war Venice bei ihrem Nein geblieben. Ein kompletter DNA-Test würde eine Weile dauern, selbst wenn sie ihn ganz oben auf ihre Liste setzte. Aber seine Verzweiflung hatte sie wohl doch nicht ganz kalt gelassen, denn sie sagte, sie könne ihm zumindest schon mal ein Vorergebnis liefern. Sie gehörte zu dem Team, das einen Teil des Sechzehn-Loci-Systems bewerten sollte und dafür Probeläufe machte. Das Verfahren der DNA-Extraktion war gleich; sie konnte dieselbe Probe dann später, wenn sie wieder etwas Luft hatten, auch noch für die anderen Loci nehmen.
Bartholemew schlief ein, während sie den Test machte. Um vier Uhr morgens hockte Venice vor ihm und schüttelte ihn wach. »Willst du die gute oder die schlechte Nachricht zuerst hören?«
Er seufzte: »Die gute.«
»Ich hab dein Ergebnis.«
Das war eine ausgezeichnete Nachricht. Die Gerichtsmedizinerin hatte ihm nämlich nicht viel Hoffnung
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