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Schuldlos ohne Schuld

Schuldlos ohne Schuld

Titel: Schuldlos ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell-Olof Bornemark
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Chef mit diesem gleichzeitig bittenden und distanzierten Blick Martin an, wie ihn ein Vertreter der Obrigkeit immer gegenüber seinen Untergebenen parat hat, wenn er will, dass man ihm sofort und bedingungslos gehorcht.
    »Ein wichtiges geschäftliches Gespräch«, sagte der Chef.
    »Aus London.«
    Er wartete einige Sekunden. Dann deutete er mit dem Telefonhörer zur Tür.
    »Sie verstehen.«
    Martin verstand. Er erhob sich und ging dann so, wie er es immer getan hatte, wenn ihm ein Bescheid gegeben worden war.
     
    So war es zugegangen, als Martin entlassen und in die Schar der vorzeitig Pensionierten und Ausgestoßenen verwiesen worden war. Danach folgten einige Wochen voller Gespräche mit offiziellen Personen. Alle hatten irgendeine amtliche Legitimation vorzuweisen. Alles ging sehr gesetzesgetreu zu, niemand überschritt seine Befugnisse. Es versuchte aber auch niemand, Martin zu Hilfe zu kommen. Das Urteil war ein für allemal verhängt. Man konnte keinen Einspruch erheben, eigentlich wurde eine Menge Zeit unnötig investiert.
     
    Ehrlich gesagt, ist alles zum Lachen. Martin steht am Fenster und starrt auf das Elsternest. Er hat das Fernglas weggelegt. Die Vögel sind immer noch verschwunden. Vielleicht haben sie sich nach der mühsamen Bauarbeit geärgert, oder sie waren es satt, als sie über die Zukunft und die Schinderei, die noch folgt, bis die Jungen flügge sind, nachgedacht haben. Es gibt genug Grund, zu zweifeln oder alles im Stich zu lassen und ganz zu verschwinden. Ein geschütztes Nest bedeutet nicht nur Sicherheit. Es kann sich auch in ein Gefängnis verwandeln.
    Martin lacht nicht über die Vögel, sondern über seine eigene Lage. Nun besitzt er nicht mehr den geringsten Status. Sie haben ihn für statuslos erklärt. Niemand verkündet offen, dass er verrückt sei, jedenfalls nicht so verrückt, dass man ihn einsperren müsste. Noch nicht. Sie lassen ihn so lange in der Wohnung wohnen, wie er die Miete pünktlich bezahlt. Einmal im Monat schickt ihm das Versorgungsamt genug Geld, dass er überleben kann. In Schweden verhungert niemand, wenn er sich nicht verkommen lässt und das Geld vorzeitig versäuft. Die liberale Demokratie des Landes und ihre Gesetze geben jedem die Möglichkeit zu überleben. Die Obrigkeit will unter keinen Umständen den Tod von jemandem auf dem Gewissen haben. Sie hat Martin klassifiziert und in ein Fach verstaut, ihn in eine Personalnummer zweiter Klasse in einem Computer verwandelt. Dort darf er bleiben, solange er keine Unannehmlichkeiten macht.
    Martin ist mit der Obrigkeit darin einig, dass er keine Fürsorge braucht. Er ist untersucht und für ungefährlich befunden worden. Natürlich kann man es nicht so genau wissen, aber die präventiven Maßnahmen müssen immer mit Vorsicht gehandhabt werden.
    Das Einfachste und Wirtschaftlichste ist, den allmächtigen Computer jeden Monat eine geringe Geldsumme an Martin senden zu lassen. Das meiste kommt ohnehin in Form von Steuern zurück, und der Betrag entspricht gerade den Kosten von einigen Tagen in einem Pflegeheim. Martin ist, könnte man sagen, mit einem vorläufigen Attest versehen, dass er harmlos ist. Solange er sich ruhig verhält und keine Dummheiten anstellt, existiert er ganz einfach nicht. Er ist nur eine Zahl in der Statistik. Als ein achtenswerter, gleichberechtigter Bürger ist er nicht mehr vorhanden.
     
    Wie hieß sie? Der kleine Affe? Irene. Ein hübscher Name für ein spitzes Gesicht, aber auch der Name einer verkrüppelten treulosen Seele. Heute kann Martin kaum verstehen, was er an ihr fand. Irene ist es, die hinter allem steht. Sie ist die Ursache, dass er ausgestoßen worden ist.
    Zuerst hat sie ihm Mut gemacht. Jedenfalls bildet sich Martin das ein. Im Nachhinein begreift er, dass dies nur ein übler Scherz von ihrer Seite war, eine Schikane koketter Art. Es kann jeden jucken, einen Dummkopf aufzuziehen. Dann, als alle sehen konnten, dass er sie ernst nahm und vermutlich zu phantasieren und von ihr zu träumen begann, trieb sie – kichernd angefeuert von den anderen Mädchen im Büro – den Spaß weit über die Grenzen des Anstandes. Es gibt eine besondere Form der Bosheit, die nur Frauen anwenden, und dann immer gegenüber Männern, denen sie sich überlegen fühlen. Fast immer versuchen sie, das unter einer Unschuldsmaske zu verbergen. Dieser Bosheit war Martin ausgesetzt.
    Martin erinnert sich nicht mit Sicherheit an alles, was an jenem Nachmittag im Postraum geschah. Er war allzu aufgeregt

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