Schuldlos ohne Schuld
Flasche Schnaps dabeihabt, wenn ihr kommt, und dass ihr bis zehn abends wartet.«
Der Spatz schluckt und verdreht die Augen gen Himmel, als ob er da oben die Rettung suchte.
»Das lässt sich vielleicht machen«, sagt er, aber das klingt nicht glaubwürdig. »Was meinst du Leonard?«
»Der Abend ist lang«, antwortet Leonard.
Vielleicht ist er der einzige Optimist von allen dreien.
»Sie muss aber noch zu sein«, sagt Martin und erhebt sich. »Ihr wisst, wo ich wohne?«
Der Spatz und Leonard nicken ernst. Ein Schluck ist in der einen Weinflasche noch übrig, und sie sehen Martin fragend an; der schüttelt den Kopf. Da grinsen sie zufrieden und teilen brüderlich den Rest.
Als Martin an die Treppe gekommen ist, die zur Straßenebene hinaufführt, dreht er sich noch einmal um. Leonard und der Spatz sind dicht zueinander gekrochen. Der Spatz redet die ganze Zeit. Manchmal gestikuliert er eifrig. Er scheint Leonard von etwas überzeugen zu wollen. Martin fragt sich ironisch, wie gut die Vorgaben sind, dass sie Erfolg haben werden. Vielleicht hat er sie zum letzten Mal gesehen.
Wieder daheim in der Wohnung sind Martins Spottlust und Ruhe vergangen. Die Stille und ihr ständiger Begleiter, der Überdruss, packen ihn. Es bleibt nichts anderes übrig als zu warten, und das bedeutet, das der Alp bald wieder auftauchen wird.
Als die Uhr auf zehn zugeht, betet Martin. Er weiß nicht, zu wem oder wozu er betet. Dann und wann öffnet er die Tür zum Treppenhaus, um zu hören, ob jemand auf dem Weg zu ihm hinauf ist. Er weiß nicht, wonach er sich am meisten sehnt, nach dem betäubenden Alkohol oder der geschwätzigen Gesellschaft.
19
Hier draußen im Treppenhaus klingt das dritte langgezogene Läuten an der Türklingel wie ein Alarmsignal, pulsierend und fordernd. Es folgt eine Minute des Wartens. Der Hausverwalter ist unsicher. Er ist ein sehr korrekter Mann, der es mit seinem Verhalten genau nimmt. Dann beugt er sich widerwillig vor und presst das Ohr gegen das Schlüsselloch.
Aus der Wohnung dringt kein Laut. Es ist, als halte das Haus den Atem an.
Der Verwalter seufzt und errötet leicht. Am allerwenigsten will er für einen heimlichen Lauscher gehalten werden. Missmutig und kraftlos beginnt er, mit der Faust gegen die Tür zu klopfen. Diese Art von Dienstausübung hat er immer verabscheut. Als auch das Klopfen ohne Ergebnis bleibt, wendet er sich resigniert an die Frau, die ihn ins Haus gerufen hat. Er zieht eine Grimasse, als er ihren erwartungsvollen Augen begegnet.
»Es ist niemand zu Hause«, sagt der Verwalter.
»Unsinn!«, antwortet die Frau giftig und wirft den Kopf in den Nacken. »Er liegt drinnen und versteckt sich. Ich bin sicher, dass niemand heute die Wohnung verlassen hat.«
Der Verwalter glaubt ihr. Sie hat sicher den ganzen Vormittag an ihrer eigenen Tür auf der Lauer gelegen, während sie sein Kommen erwartete. Als sie ihn heute Morgen anrief, versuchte er zunächst, sie an die Polizei zu verweisen. Dann schlug er die Sozialbehörde vor.
»Die Polizei!«, zischte sie, und es klang, als spucke sie in den Telefonhörer. »Die Polizei kommt nie, wenn man sie braucht. Sie wollen nicht einmal ein Auto schicken. Was das Sozialamt betrifft, sehe ich keine Veranlassung, es hineinzuziehen. Die kümmern sich schon gar nicht darum, was anständige Leute sagen.«
Dort ist sie also bereits gewesen, dachte der Verwalter. Nirgends trifft sie auf Verständnis. Gute Nachbarschaft ist nichts Neues für ihn. Es sammelt sich so viel an Neid und Aggression in einem Mietshaus. Hier und da brechen die Dämme, auch wenn die Leute nicht einmal wissen, wie die Nachbarn heißen. Er selbst versucht immer, sich aus allem Streit herauszuhalten. Das einzige, was ihn interessiert, ist, dass die Mieten pünktlich eintreffen.
Heute hat er einmal eine Ausnahme gemacht. Der Grund ist, dass er diese Frau satt hat und hofft, sie zu beruhigen. Sie geht ihm auf die Nerven.
Im letzten halben Jahr hat sie mindestens zweimal pro Woche angerufen und sich über diesen Mieter beschwert. Sie begnügt sich nie mit einem anderen als dem Verwalter persönlich zu sprechen. Ziemlich oft kommt sie mit den erstaunlichsten Behauptungen. Neulich sagte sie, dass der Kerl das Haus verunreinigt habe, und sie brachte dies auf eine so hinterhältige Weise vor, dass er sich fragen musste, ob sie meinte, dass er auf der Treppe steht und pinkelt. Wo er eine eigene Toilette in der Wohnung hat. Er kam nie dazu zu fragen. Es gibt immer Leute, die
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