Schule der Lüfte wolkenreiter1
Wimpern tupfte, schenkte ihr das Mädchen ein gutmütiges Lächeln. »Ich bin Hester Morgen«, stellte sie sich vor. »Ich gehe auch in die erste Klasse, so wie du. Nur bin ich schon seit sechs Monaten hier.« Sie legte den Kopf schief und musterte Lark von oben bis unten. »Ich bin wirklich überrascht, dich heulen zu sehen. Alle sagen, du wärst so zäh wie Leder.«
Lark, die sich gerade gewundert hatte, dass Hester sie sogar duzte, hielt die Luft an, und ihre Überraschung ließ sie die Tränen vergessen. »Wer sagt das?«
»Ach, diese Idiotin Petra Süß«, erklärte Hester. »Ich bin noch nie einer begegnet, die so viel redet. Stimmt es, dass du erst fünfzehn bist?«
Lark schniefte geräuschvoll und nickte. »Ich hatte gerade letzte Woche Geburtstag.«
»Dann bist du zwei Jahre jünger als alle anderen Mädchen hier! Ich kann mir gar nicht vorstellen, wer die Idee hatte, Petra Süß zu deiner Tutorin zu ernennen. Sie hasst Erstklässlerinnen.«
Lark schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Ihre Pferdebox liegt neben meiner.«
»Na gut, das ist jetzt auch egal.« Hester nahm das nasse Taschentuch zurück und stopfte es in die Tasche ihres Reitrocks. »Was hat dich denn so aufgeregt? Du wirkst völlig verloren.«
»Das bin ich auch!« Lark brachte ein kleines Lächeln zustande. »Verloren in beinahe jeder Beziehung, und jetzt soll ich mich bei Meisterin Stark melden, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, wo.«
»Ach! Na, das kann ich dir zeigen. Sie hält sich meist im Lesesaal auf. Hier entlang.« Hester wandte sich zur Treppe, und Lark folgte ihr.
Sie waren die Treppe halb hinaufgegangen, als sich die Tür vom Büro der Leiterin öffnete und die unverkennbare Stimme von Prinz Wilhelm zu ihnen heraufdrang. Hester legte einen Finger auf die Lippen, und beide Mädchen blieben wie angewurzelt stehen.
»Ich komme in ein paar Wochen wieder, um zu sehen, wie sich das Fohlen entwickelt«, sagte der Prinz.
Die Stimme von Philippa Winter drang scharf die Treppe hoch. »Wir können nicht zu lange warten, Hoheit. Wenn das Fohlen so schnell wächst wie die Kämpfer...«
»Ich werde Krisp bitten, ihn im Auge zu behalten«, erwiderte Wilhelm.
Die Leiterin sagte etwas darauf, worauf Prinz Wilhelm kurz angebunden erwiderte: »Der Willen des Fürsten hat Vorrang vor dem Rat der Edlen, Margret.«
Als Prinz Wilhelms Hacken über die Fliesen knallten, drängten sich die Mädchen an die Wand. Hester und Lark starrten sich mit weit aufgerissenen Augen an und rührten sich nicht vom Fleck, bis sich die schwere Tür hinter der Herrschaft geöffnet und wieder geschlossen hatte.
Einen Herzschlag später drang die kühle Stimme von Meisterin Winter die Treppe herauf. »Ich glaube, ihr beide habt etwas zu tun, oder?«
»Ja, Meisterin.« Hester grinste Lark an und flüsterte. »Sie hat bestimmt auch Augen im Hinterkopf!« Dann eilte sie die Treppe hinauf.
Der lange Nachmittag war fast vorüber, als Lark endlich freibekam und zu den Ställen und zu Tup zurückkehren konnte. Die Mädchen der zweiten und dritten Klasse brachten gerade ihre Pferde herein, um sie trocken zu reiben, die Hufe auszukratzen sowie ihre Mähnen und Schwänze zu kämmen. Die anderen Mädchen aus Larks erster Klasse striegelten ihre Pferde und tratschten von Stallbox zu Stallbox. Oc-Hunde trotteten zwischen ihnen hin und her und Beere, Larks Liebling, kam, um an Molly zu schnüffeln. Die Ziege war gerade groß genug, um ihr bärtiges Kinn auf das Tor legen zu können. Beim Anblick der kleinen braunen Ziegennase neben der silbrigen des Hundes musste Lark kichern. Tup vergrub seine Nase in Larks Schulter und beschwerte sich wimmernd, weil sie so lange fort gewesen war.
Aus ihrem Stall rief Petra zu ihr herüber: »Hammloh! Was macht Ihr Fohlen da für Geräusche?«
Lark hielt mitten im Striegeln inne. Vorsichtig antwortete sie: »Das ist seine Art. Er hat immer irgendwie so … geweint.«
»Weinen trifft es«, sagte Petra verächtlich. »Sie sollten ihm das abgewöhnen. Es ist abscheulich .« Sie zog das Wort in die Länge und betonte den nasalen Akzent, den Lark überall in der Akademie hörte.
Mit Petras Akzent schien allerdings etwas nicht zu stimmen. Er klang nicht ganz echt – nicht so wie der von Meisterin Winter oder Hester Morgen zum Beispiel. Hesters Betonung war präzise, und ihre Worte hatten eine Melodie. Petras Akzent war einfach nur … nasal und klang aufgesetzt.
»Süß!«, rief Hester aus ihrer Box auf der anderen Seite.
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