Schumacher, Jens - Deep
welligen Boden vor seinen Füßen an.
»Die Püttlitz legt ab«, verkündete Henry nach einem erneuten Blick aus dem Fenster.
Draußen wurde das Forschungsschiff soeben von einem kleinen Schleppkahn von den zahlreichen Verankerungen fortgezogen. Ein zweiter Schlepper sorgte weiter hinten dafür, dass das immense Anhängsel des Schiffes ebenfalls ohne Beschädigungen von der Anlegestelle loskam.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis die FS Püttlitz genügend Abstand zum Pier gewonnen hatte. Die Schlepper zogen sich zurück, und das große Schiff nahm Fahrt auf. Rasch verließ es das Hafenbecken.
»Und nun?« Henry sah seinen Vater fragend an. »Damit sind wir aus dem Rennen.«
»Wir könnten ein Boot mieten«, schlug Becca vor.
»Und was damit tun? Zur Fundstelle hinausfahren und hoffen, dass die U-196 von allein an die Oberfläche kommt, damit wir einen Blick darauf werfen können?« Henry schüttelte mutlos den Kopf. »Ohne eine Hightech-Ausrüstung, wie Hauschildt sie hat, haben wir keine Chance, das Wrack in Augenschein zu nehmen.«
Ein Ruck fuhr durch Donald Wilkins’ Körper. Er erhob sich schwungvoll, ein versonnenes Lächeln auf den Lippen. »Vielleicht doch, mein Junge«, murmelte er und wandte sich in Richtung Tür. »Vielleicht doch …«
15
PANGANDARAN, 26. SEPTEMBER 2013
Mokele Oceanics stand auf dem Schild am Flügel des großen Maschendrahttors, ein geschwungener Schriftzug in Form einer rollenden Welle. Daneben prangte ein cartoonhaft dargestellter, grinsender Plesiosaurier. Henry blieb kaum Zeit, das Logo genauer zu betrachten, denn schon schwang die Pforte wie von Geisterhand auf, und sein Vater steuerte den Land Rover hindurch, auf einen gekiesten, von modernen Flachdachgebäuden gerahmten Hof. Als sie vor dem größten der Häuser zum Stehen kamen, stöhnte Henry erleichtert auf. Nach der über dreistündigen Fahrt fühlte sich sein Rücken an, als säße kein einziger Wirbel mehr an der vorgesehenen Stelle.
Nach ihrem Besuch auf dem Gelände der Hafenverwaltung hatte sich Henrys Vater von Becca den Weg zur nächsten Tankstelle zeigen lassen und den Wagen vollgetankt. Da das Mädchen am Nachmittag mit ihrem Onkel verabredet war, hatten sie Becca anschließend in einem Wohngebiet im Norden der Stadt abgesetzt. Erst als sie die Landstraße erreichten, die laut Karte durch ein dünn besiedeltes Waldgebiet nach Pangandaran führte, hatte Henry erfahren, was sein Vater eigentlich vorhatte.
»Im Prinzip müsste ich diesem Hauschildt dankbar sein, dass er mich so geärgert hat«, erklärte Dr. Wilkins heiter. »Manchmal braucht es einen kleinen Schubser – und damit meine ich nicht die Pranke dieses Halbaffen mit dem Bürstenschnitt –, um eine vergrabene Erinnerung wachzurufen.«
»Aha. Und woran hast du dich erinnert?« Henry musste sich mit aller Kraft an einem Griff am Armaturenbrett festhalten, um nicht aus dem Sitz gehoben zu werden, wenn der Land Rover im Sekundentakt durch Schlaglöcher und über Luftwurzeln hinwegholperte. Die Straße, die sich zwischen grünen Mauern aus Lianen und Buschwerk durch das javanische Inland schlängelte, verdiente die Bezeichnung im Grunde nur, weil auf dem knapp drei Meter breiten Streifen keine Bäume wuchsen. Der Boden war weder gepflastert noch asphaltiert, geschweige denn eingeebnet.
»Ich hatte völlig vergessen, dass ein Studienfreund von mir, Dr. Gordon McKenzie, hier auf Java eine kleine Forschungsstation betreibt«, führte Dr. Wilkins aus. »Wir kennen uns bereits seit dem Grundstudium, Gordon war damals für ein paar Gastsemester von Johannesburg nach Toronto gekommen. Im Anschluss kehrte er nach Afrika zurück, wo er später seinen Abschluss machte. Heute ist er ein angesehener Meeresbiologe, er hat schon an der Elfenbeinküste, in Florida und auf den Galapagosinseln geforscht. Und seit ein paar Jahren eben hier in Indonesien.«
»Was hattest du als Anthropologiestudent denn mit einem Meeresbiologen zu tun?«, wollte Henry wissen.
»Oh, auf akademischer Ebene gar nichts. Gordon und ich lernten uns auf der Party eines gemeinsamen Freundes kennen. Wie sich bei dieser Gelegenheit herausstellte, waren wir in dasselbe Mädchen verschossen. Nur ein paar Tage später lieferten wir uns aus diesem Grund eine derbe Prügelei in einem dunklen Hinterhof irgendwo auf dem Campus. Als wir es nach einer Weile gut sein ließen, besaß Gordon einen Schneidezahn weniger, und ich hatte ein gebrochenes Handgelenk.«
Henry sah seinen Vater
Weitere Kostenlose Bücher