Schumacher, Jens - Deep
mehr, ihr linkes Auge wurde von einem dunklen Bluterguss verunziert. »Kommen Sie mit, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!«
28
UNTERWASSERHABITAT NEUSCHWABENLAND,
27. SEPTEMBER 2013
»Wie konnten Sie sich so rasch wieder von Hauschildt und seinem Kettenhund loseisen?«, stieß Henrys Vater hervor, während sie Susann Dettweiler im Laufschritt durch den schmalen, rot lackierten Korridor folgten. »Es ist keine halbe Stunde her, dass Kroll Sie aus unserer Zelle geholt hat. Wir nahmen an, Hauschildt würde Sie aus Wut ebenfalls irgendwo einsperren.«
»Glück im Unglück, wenn man es so nennen kann.« Die Genetikerin deutete durch die flatternden Strähnen ihrer mittlerweile gelösten blonden Haarmähne auf ihr blaues Auge. »Kroll brachte mich zum A-Deck hinauf. Auf dem Weg wollte er wissen, was ich bei Ihnen gewollt habe. Als ich schwieg, schlug er mich.«
»Dieses Schwein!« Becca spuckte die Worte förmlich aus.
»Als wir in der Kontrollzentrale ankamen, herrschte dort große Aufregung. Die Kameras, die Hauschildt nach Ihrer Gefangennahme in der Nähe des Wracks hatte installieren lassen, übertrugen gesteigerte Aktivität hinter den Bullaugen.«
»Gesteigerte Aktivität?«, wiederholte Dr. Wilkins mit bangem Ton.
»Bereits seit einer ganzen Weile, wie es scheint. Hinter nahezu allen Fenstern der U-196 sind jetzt in regelmäßigen Abständen grau-weiße Schemen zu sehen. Von Weitem hat es den Anschein, als renne eine Meute leichenblasser Gestalten im Innern des Bootes hin und her.«
Henry und sein Vater tauschten einen besorgten Blick.
»Worin sieht Hauschildt den Grund für diese Veränderung?«, erkundigte sich McKenzie. Er bildete das Schlusslicht der Gruppe. An seinem schwankenden Lauf und dem verkniffenen Gesicht war abzulesen, dass der Biologe noch mit den Nachwirkungen des Schlages auf den Kopf kämpfte.
»Der Professor ist der Meinung, die … die Insassen der U-196 hätten etwas von den Bemühungen mitbekommen, die zu ihrer Bergung betrieben werden. Das versetze sie in Aufregung.«
»Ich fürchte, damit kommt er der Wahrheit näher, als ihm lieb ist«, murmelte Henrys Vater halblaut. »Die Kreatur muss wissen, dass ihre Zeit abläuft.«
»Was sagen Sie, Dr. Wilkins?«
»Nichts, nichts. Wie nahm Hauschildt Ihren Abstecher ins Gefangenenlager auf?«
»Der Professor reagierte ziemlich gereizt, als Kroll ihn störte. Er hörte nur mit halbem Ohr zu. Ich habe ihm erzählt, ich hätte nachsehen wollen, ob Sie sicher verwahrt und gut versorgt seien.«
»Und das hat er Ihnen abgenommen?«
»Wie gesagt, er hörte mir ja kaum zu. Er war zu beschäftigt damit, Ottenthal und Stocker letzte Anweisungen zu erteilen. Das sind die beiden Männer, die in Hartanzügen zum U-Boot hinübergehen sollen.«
Dr. Wilkins warf im Laufen einen Blick auf seine Armbanduhr. »Zweiundzwanzig Uhr dreißig. Gewiss wird es doch noch ein paar Stunden dauern, bis die Männer bereit zum Aussteigen sind, oder?«
Susann Dettweiler blieb an einer Verzweigung des Ganges stehen, um sich zu orientieren. »Keineswegs. Professor Hauschildt hat die Techniker Überstunden machen lassen, um den Tauchgang noch vor Mitternacht über die Bühne zu bekommen.« Sie wandte sich nach rechts und setzte sich wieder in Bewegung.
»Vor Mitternacht?« Henry, der Seite an Seite mit Becca hinter der Wissenschaftlerin hertrabte, bekam eine Gänsehaut. »Wieso das?«
»Die seismografischen Geräte des Habitats zeichnen seit Stunden schwache Erdstöße auf. Sie wiederholen sich in einem regelmäßigen Rhythmus, mit steigender Intensität. Der Professor will das U-Boot öffnen, bevor es abrutscht und für immer verloren ist.«
»Zusammen mit seinen schönen Wehrmacht-Zombies«, keuchte McKenzie.
»Wohin bringen Sie uns?«, erkundigte sich Becca. Sie war von allen am wenigsten außer Atem. In gleichmäßigem Rhythmus lief sie neben Henry her.
»Wir müssen versuchen, ungesehen aufs Schleusendeck zu gelangen, zur Wave Spear. Der zweite Scooter ist unbeschädigt und einsatzbereit.« Dr. Dettweiler warf einen fragenden Blick über ihre Schulter. »Sie können so ein Fahrzeug doch steuern, Dr. McKenzie?«
»Ich bezweifle, dass sich die Kontrollen großartig von denen der Ki'tenge unterscheiden«, erwiderte der Biologe schwer atmend. »Aber ich werde mein Baby keinesfalls hier unten zurücklassen, damit das klar ist.«
»Sollte Ihr eigenes Boot noch manövrierfähig sein, können wir auch damit verschwinden«, gab Susann Dettweiler zurück.
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