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Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis

Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis

Titel: Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Schumacher
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In einer endlosen Abfolge von weiteren Träumen erlebte ich, wie die schwarze Stadt wuchs und gedieh. Ich sah graue Dienerwesen, die ihre Bastion erfolgreich gegen riesige Raubsaurier verteidigten. Ich sah, wie sie Gebäude ausbesserten und neue errichteten, wo Witterung und Erdstöße an Mauern genagt oder sie zum Einsturz gebracht hatte.
    Zeit verlor jegliche Bedeutung. Ich spürte, wie der Planet unter mir alterte, reiße. Kontinente veränderten sich, gerieten in Bewegung, drifteten auseinander. Auch jene Landmasse, auf der ich gelandet war, verlagerte ihre Position auf der Erdkugel. Sie wanderte nach Süden.
    Irgendwann durchbrach eine neue Wahrnehmung die Gleichförmigkeit meiner Existenz Meine Sinne registrierten etwas in den unendlichen Weiten des Alls, eine uralte, finstere Präsenz die sich unendlich langsam auf meinen Aufenthaltsort zubewegte. Die Erkenntnis erfüllte mich mit unaussprechlicher Freude, konnten es doch nur meine Herren sein, die meinem Ruf gefolgt waren und sich auf dem Weg in ihr neues Domizil befanden.
    Nur allmählich dämmerte mir die grässliche Wahrheit.
    Was da durchs All schwebte, waren nicht die Herren!
    Die Echos, die ich ortete, waren fremdartiger als alles, was ich je gekannt hatte, selbst vor dem Hintergrund meiner nicht-menschlichen Sinneswahrnehmungen und Erinnerungen. Ich spürte, was dort durch den luftleeren Raum schwebte, war alt – älter noch als die Kultur meiner Herren. Und böse! Meine Substanz erschauerte, als ich eine Reihe gewalttätiger Schwingungen auffing, grausam auf eine Weise, die nicht mit Worten zu beschreiben war. Sollte die fremde Präsenz ihren Kurs beibehalten und die Erde erreichen, wäre alles gefährdet, was ich aufgebaut hatte!
    Unzählige weitere Jahrtausende kamen und gingen. Die fremde Präsenz näherte sich nach wie vor der Erde, allerdings so langsam, dass es Jahrmillionen dauern mochte, bis sie tatsächlich hier einträfe. Falls das überhaupt ihre Absicht war.
    Meine Furcht ließ nach. Das Einzige, was mich beunruhigte, war, dass die Herren nicht schon längst erschienen waren und ihre neue Heimat in Besitz genommen hatten.
    Unterdessen veränderte sich der Planet weiter. Allmählich wurde es kälter …
    Hin und wieder erwachte ich aus meinen verstörenden Visionen. Jedes Mal brauchte ich Stunden, bis ich mich wieder einigermaßen zurechtfand, bis ich wieder wusste, wo ich eigentlich war. Und wer! Ich hielt mich mit Wasser und Proteinriegeln am Leben, wenngleich es mir immer schwerer fiel, sie zu mir zu nehmen. Mein Zahnfleisch schien entzündet, ebenso meine Lippen. Ich bekam den Mund nicht mehr richtig auf. Glücklicherweise verspürte ich keine Schmerzen, meinem angeborenen Defekt sei Dank.
    Irgendwann stellte ich fest, dass meine Finger miteinander verwuchsen. Ich ertastete weiche Säcke rings um mein Gesicht, Haut, wo zuvor keine gewesen war. Ich spürte, dass ich meine Augen nicht mehr vollständig öffnen konnte.
    Sonderbarerweise beunruhigte mich all dies kaum. Es fühlte sich irgendwie richtig an. Zudem war mir vage bewusst, dass es sich bei alldem nur um ein Übergangsstadium handelte. Schon bald würde ich wieder zu Kräften kommen und die Felskammer verlassen. Dann würde ich tiefer in die Stollen gehen.
    Zu meinen Brüdern.
    Nur selten träumte ich noch von meinem früheren Leben – meinem Leben als Donald Wilkins. Im letzten Traum, an den ich mich erinnern kann, befand ich mich gemeinsam mit meinem Sohn auf einer Expedition im Dschungel des Amazonasbeckens, wo ich die Riten eines jüngst entdeckten Eingeborenenstammes erforschte. Ich fühlte mich schon seit einer ganzen Weile nicht recht wohl, schob dies aber auf die schlechte Verpflegung und die tropische Hitze des Regenwalds. Doch eines Tages klappte ich mitten im Lager zusammen. Das Nächste, was ich wahrnahm, war Henry, wie er neben mir in einem Kanu saß, das rasend schnell einen Fluss hinabschoss. »Dr. Kegley glaubt, dass du einen Blinddarmdurchbruch hast«, sage er. Er hielt meine Hand. »Keine Sorge: Bis zum nächsten Krankenhaus sind es gerade mal zweihundert Kilometer. Das schaffen wir!«
    In diesem Moment begann Henrys Gesicht plötzlich zu erzittern. Es verschwamm, löste sich auf. Das Kanu, der Fluss, das Grün der Urwaldriesen ringsum, alles verblasste. Jemand machte sich an meinem Körper zu schaffen – meinem realen Körper, nicht dem im Kanu –, rüttelte mich. Aber ich wollte nicht aufwachen 1 . Ich wollte weiterträumen, ein letztes Mal mit meinem Sohn

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