Schuster und das Chaos im Kopf - Kriminalroman
bisschen aufmüpfig.« Ohlendorf grinste nachsichtig. »Aber das sind sie in dem Alter doch alle, oder?«
Schuster überlegte, ob er den beiden nachgehen sollte. Unsinn, wie hatte Ohlendorf gesagt: nette Jungs, etwas aufmüpfig und nur Blödsinn im Kopf.
Kopfschüttelnd machte er, dass er wegkam.
Asche aufs Haupt
Schuster hatte seine Mütze tief ins Gesicht gezogen, seine Sonnenbrille und ein ausdrucksloses Gesicht aufgesetzt.
Am Morgen von Heidi Stolzes Beerdigung hatte der Regen aufgehört, fast schlagartig. Nun schien die Aprilsonne so unverschämt, dass man es ihr fast übel nehmen konnte.
Schuster lehnte in einigem Abstand an einer Esche, die Kapuzenjacke geöffnet, seine Hände in den Hosentaschen.
Albert Stolze, im langen schwarzen Mantel und mit kleinem Hut, wurde von zwei Leuten gestützt. Er erinnerte Schuster ein wenig an einen Mafia-Boss.
Heidi Stolzes Klasse, die 9a, hatte einen riesigen Blumenkranz auf ihr Grab gelegt. Ein blondes Mädchen hielt eine kurze Rede, und Schuster spitzte die Ohren, konnte aber kaum etwas verstehen, dafür stand er einfach zu weit entfernt. Er fragte sich, ob Heidi Stolzes Mörder hier irgendwo herumstand, vielleicht hinter einem der Bäume?
Nein, wohl kaum, das hätte er längst bemerkt, schließlich stand er sich hier seit über einer Stunde die Beine in den Bauch und hatte jeden Grabstein, jeden Baum im Blick.
Er sah den Hausmeister Gerd Ohlendorf hinter einem Mädchen stehen, das ihn fast um einen halben Kopf überragte. Mit einem Taschentuch wischte Ohlendorf sich über Augen und Nase.
Heuschnupfen? , überlegte Schuster. Erkältung? Oder heult Ohlendorf wegen Heidi Stolze?
Bevor er sich noch weiter wundern konnte, sah er, wie Albert Stolze mit schleppendem Schritt zum offenen Grab ging. Er starrte einige Minuten lang hinein, murmelte etwas und warf mit tränen-überströmtem Gesicht einen Strauß schneeweißer Lilien auf den hellen Kiefernsarg seiner Gattin.
Schuster lugte über seinen Brillenrand und beobachtete ihn.
Stolze benahm sich, wie ein Mann sich benehmen sollte, der gerade seine Frau verloren und den das völlig aus der Bahn geworfen hatte, selbst wenn diese Frau gern mit Geschirr nach ihm geworfen hatte.
Schusters Handy klingelte, und er fuhr zusammen. Hastig griff er danach, duckte sich und drückte es sich ans Ohr.
Er hörte noch das leise, vorwurfsvolle Gemurmel der Trauergemeinde, bevor er Grätschs Stimme vernahm. »Heiner?«
»Gunnar, was ist denn los?«
»Wo steckst du?«
Er versuchte, so leise wie möglich zu sprechen. »Auf der Beerdigung.«
»Es haben sich einige Leute gemeldet, die über den Mord in der Zeitung gelesen haben. Du solltest gleich mal vorbeikommen.«
»Bin gleich da.« Er stopfte das Handy zurück in seine Jackentasche.
Die Menschenmenge löste sich allmählich auf und zerstreute sich in alle Richtungen. Zurück blieben Albert Stolze und ein junger Mann, den Schuster nicht kannte, aber nun gern kennenlernen würde.
Seine Nase juckte, und als ihm klar wurde, dass er jeden Moment heftig niesen würde, blieb er vor-sichtshalber weiterhin in Deckung. Mit einer Hand wühlte er nach einem Taschentuch, fand aber keins.
Mit zugehaltener Nase trat er hinter der Esche hervor und nahm Kurs auf Albert Stolze. Der stand noch immer mit gesenktem Kopf am Grab.
Schuster stellte sich neben ihn und blickte ebenfalls auf den Sarg.
»Sie hier?« Stolzes Stimme klang rau und brüchig.
»Wissen Sie, wer der junge Mann da drüben ist?« Schuster zeigte auf den Burschen in der schwarzen Lederjacke und verfluchte sich sofort.
Wie wär’s mit etwas Feingefühl, Schuster, du Trampeltier?
»Ein Schüler meiner Frau. Ich glaub, er heißt Thorsten Haase.«
Schuster starrte weiter auf den Sarg und seltsame Dinge schossen ihm durch den Kopf. Wie würde er sich fühlen, wenn Silke da unten liegen würde? Sofort verscheuchte er den Gedanken und schüttelte verwirrt den Kopf. Es war ja nicht so, dass er sich Silkes Tod wünschte, natürlich nicht! Er war verletzt, wütend und enttäuscht. Vielleicht war er sogar eifersüchtig auf ihren neuen Freund. Und dazu hatte er verdammt noch mal jedes Recht der Welt!
Das Kribbeln in seiner Nase verstärkte sich und entlud sich mit einem sehr lauten, ausgesprochen heftigen »Hatschi«.
Stolze fuhr etwas zusammen. »Gesundheit. Was ist mit Ihnen?«
»Eine Erkältung, fürchte ich.«
Auch das noch. Hoffentlich nichts Ernstes. Und wieder mal kein Taschentuch, typisch.
Stolze hob die Augenbrauen.
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