Schuster und das Chaos im Kopf - Kriminalroman
seinen Papierkorb wieder einzuräumen, doch Grätsch erhob sich und legte eine Hand auf seinen Arm. »Lass mich das machen, Schuster.«
Schuster sah ihn kopfschüttelnd an. »Glaubst du, ich lass dich auf allen Vieren unterm Tisch rumkriechen, um meinen Müll einzusammeln?«
Während er unter dem Tisch hockte und seinen Papierkorb einräumte, überlegte er, ob er gleich zu Stolze fahren sollte.
Nein, das musste warten.
Erstmal wollten sie sich Carmen Wolfrats Wohnung ansehen.
Selten hatte er eine so aufgeräumte, pieksaubere Wohnung gesehen. Im Wohnzimmer war es so penibel sauber, dass er unbewusst die Arme an den Körper presste, damit er nicht versehentlich irgendwo gegen stieß oder womöglich die Wände berührte.
Ein kleines helles Ledersofa stand am Fenster, davor zwei niedrige Beistelltischchen. Seitlich davon stand ein großes Bücherregal und daneben ein hübscher, klobiger Sekretär.
Er entdeckte eine Stereoanlage und sah sie sich genauer an.
»Vom Feinsten«, murmelte er beeindruckt.
Grätsch war im Schlafzimmer verschwunden und nach wenigen Minuten zurück. »Alles sauber und so aufgeräumt, dass ich Angst hatte, Fußspuren zu hinterlassen.«
Schuster nickte. »Geht mir auch so.«
Er fuhr mit dem Zeigefinger ihre CD-Sammlung entlang. »Sie mochte Placido Domingo und die Beatles.«
»Ich dachte immer, die Beatles mag jeder.« Grätsch klappte den Sekretär auf. »Es gibt hier nicht mal private Fotos.«
Schuster sah sich Carmen Wolfrats Bad an, stellte fest, dass nur eine Zahnbürste in ihrem Becher steckte, kein Rasierwasser irgendwo herumstand und auch sonst nichts darauf schließen ließ, dass sie regelmäßig Herrenbesuch gehabt hatte.
Er ging in die Küche, öffnete zwei Hängeschränke, machte ein paar Schubladen auf. Dann entdeckte er eine Spülmaschine, einige schmutzige Teller, Tassen und sogar zwei Töpfe standen drin, und er atmete unwillkürlich auf. Wenigstens etwas, das an eine Wohnung erinnerte, die bewohnt worden war. Damit hatte Carmen Wolfrats Wohnung endlich etwas Echtes, Lebendiges.
Auch wenn die Frau, die hier gewohnt hatte, genau das nicht mehr war.
Es war das zweite Mal, dass er einen Fuß in sein Haus setzen würde, seitdem Silke ihn vor die Tür gesetzt hatte.
Sein Magen zog sich zusammen, als er auf den Hof fuhr. Den Blick fest aufs Armaturenbrett gerichtet, stieg er hastig aus und stürmte über den Hof.
Er blickte nicht nach rechts oder links, marschierte geradewegs zur Haustür und drückte auf die Klingel.
Nicht umdrehen – und guck bloß nicht nach rechts ...
Dort stand bestimmt noch immer die Holzbank, die sie aus der Toskana mitgebracht hatten. Er hatte sie an einem Samstagmorgen in Silkes Lieblingsfarbe gestrichen – moosgrün.
Er hatte sie überraschen wollen. Als sie aufgestanden war, hatte er sie bei der Hand genommen, ihr befohlen, die Augen geschlossen zu halten und war mit ihr vors Haus gelaufen.
Du bist vollkommen verrückt , hatte sie gelacht und ihn auf die Nasenspitze geküsst.
Er klingelte erneut.
Es roch nach Jasmin, den Busch hatte Silke vor drei Jahren in den Vorgarten gepflanzt, weil sie beide den Geruch so mochten. Scheiß Jasmin, was kümmert mich dieser scheiß Jasmin?
Die Tür ging auf.
»Ist Silke da?« Er blickte direkt in Freds Gesicht. Dieses ewig grinsende Gesicht, in das er zu gern seine Faust ... Nein, soweit würde es noch kommen, dass er sich von diesem Würstchen zu irgendwelchen Gewalttätigkeiten hinreißen ließ!
»Komm rein.« Fred trat beiseite und ließ ihn eintreten.
»Ich will nur meinen Bass abholen, steht noch im Keller.«
»Silke! Dein Ex ist hier!« Freds dünnes Stimmchen hallte über den Flur, und Schuster zog unbewusst die Schultern hoch.
Sie kam aus dem Wohnzimmer. »Was willst du hier?« Eisiger Blick, zusammengekniffener Mund.
»Meinen Bass abholen.« Betont lässige Antwort, mit einem Kloß in seinem Hals dick wie ein mittelgroßer Germknödel.
Er stand bereits auf der Kellertreppe. »Ist es okay, wenn ich allein runtergehe oder hast du Angst, ich könnte noch ein paar von deinen eingemachten Kirschen mitgehen lassen?«
Fred kicherte.
Schuster warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
Er sprang die Kellertreppe hinunter, rutschte wie schon früher häufig auf der vorletzten glatten Stufe aus und landete auf seinem Hintern. Er stürmte in den Keller, seine Ibanez lehnte im schwarzen Lederkoffer am Regal. Er schnappte sie sich und stürmte wieder nach oben.
Auf dem Flur standen Fred und Silke
Weitere Kostenlose Bücher