Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)
ins Badezimmer, streife meine vollkommen verdreckten Sachen ab und setze mich in die Badewanne. Das heiße Wasser aus der Duschbrause läuft mir über den Kopf und den völlig erschlafften Körper. Schwarze Brühe rinnt durchs Abflusssieb. «Was für ein Tag!», stöhne ich und spüle mir mit dem Wasserstrahl den Mund aus. Die Welt vorm Fenster ist genauso trostlos und düster wie am Morgen, nur mit dem Unterschied, dass ich 96 Euro reicher bin. Wenig später schlafe ich vor Erschöpfung ein.
Es ist 17 : 30 Uhr.
Kapitel 3 «So is dat wohl»
Mich morgens aus dem Bett zu quälen und auf die Baustelle zu schleppen war in den vergangenen zwei Wochen ein täglicher innerer Kampf. Die körperliche Erschöpfung ist groß, aber die Angst vor der Schuldenfalle ist größer. Deswegen mache ich weiter; deswegen muss ich weitermachen. Zudem geht es um einen Neustart, hier in Berlin, das im Winter so eine schäbige Fratze zeigen kann. Ich will mich auf gar keinen Fall von dieser Stadt unterkriegen lassen.
Auf dem Bau wird die Routine kleinlich eingehalten. Wer mit wem und wann frühstückt, welche Berufsgruppen sich leiden oder nicht leiden können und auch wer morgens mit wem vor der Arbeit rumsteht und quatscht. Während meiner gesamten Zeit auf der Baustelle habe ich es nicht einmal erlebt, dass Arbeiter von unterschiedlichen Firmen zusammengestanden und sich unterhalten hätten.
So sind da auch jetzt die Gruppe Araber laut schnatternd, Hans und Richie gemeinsam beim Ausladen ihrer Autos und die Fensterbauer wieder in ihren verblichenen roten Sprintern – mit
Bild
und Kaffee in der Hand.
Es wird immer noch mürrisch gegrüßt, aber man kennt sich jetzt.
«Morgen, Hans.»
«Morgen.»
Sein kräftiger Händedruck mit diesen monströsen Pranken ist immer noch beeindruckend.
«Morgen, Richie.»
Er brummt irgendetwas zurück und verschwindet wieder in seinem Bulli.
Als ich weitergehen möchte, tippt Hans mir auf die Schulter.
«Warte mal.»
Ich drehe mich um und muss den Kopf halb in den Nacken legen, um ihm in die Augen schauen zu können.
«Hör ma, Nick, du musst mir heute zuarbeiten. Mein Stift ist krank!»
«Okay!?», murmele ich verdutzt.
Und jetzt nennen die mich Nick! Aber ich bin das ja gewohnt. Was hatte ich nicht schon für Spitznamen, weil viele Menschen offenbar zu faul oder zu dumm sind,
Nicholas
auszusprechen.
Nick
ist fürchterlich, wenn auch besser als
Niki
oder – der Klassiker –
Nikolaus
. Es lohnt sich nie, die Leute zu belehren, also lasse ich es auch auf der Baustelle von Anfang an einfach geschehen.
«Was meinst du? Zuarbeiten?»
«Ja, zuarbeiten eben! Du sorgst dafür, dass ich Steine und Mörtel habe. Ach, ich zeig dir dat gleich.»
«Muss aber erst hoch zu Peter und meine Arbeitsschuhe holen.»
«Jaja, aber mach hinne, is gleich sieben.»
Hmm, vielleicht gar nicht so schlecht. Nach zwei Wochen mal eine andere Arbeit, und es wird sicherlich leichter als das elende Stemmen, denke ich.
Heute ist es nicht einfach die verstaubte Granittreppe hochzulaufen, der ständige Muskelkater macht sich bei jedem Schritt bemerkbar. Dafür wirkt das eisige Metallgeländer wohltuend an meinen vom wochenlangen Stemmen geschwollenen Händen.
«Peter?», versuche ich auf mich aufmerksam zu machen, als ich auf die Bretterbude zugehe. Keine Antwort. Ich klopfe an und öffne die knarrende Tür. Die ranzige Decke ist zur Seite gerafft und über einen Nagel gehängt. Der Hump sitzt in der Badewanne und reißt Fleisch von einem riesigen Knochen. Es stinkt bestialisch, wie bei einer Raubtierfütterung im Zoo. Peter hat die Wolldecke anscheinend weggehängt, um frische Luft hereinzulassen. Ob er wohl die ganze Nacht bei diesem Gestank verbracht hat?
Mein Lächeln erstarrt allerdings nur Sekunden später, als ich Humps Blick bemerke. Er fixiert mich, zeigt mir seine gewaltigen Schneidezähne und fängt immer lauter an zu knurren. Verdammter Köter, ich will dir den Scheiß Knochen bestimmt nicht wegnehmen!
Ich finde Peter dann ganz oben im fünften Stock beim Vermessen des Bodens. Ich betrete zum ersten Mal diesen atemberaubenden Raum. 600 Quadratmeter offene Fläche mit einem gewölbten Holzdach – phantastisch! Jeder Galerist oder Künstler würde sich die Finger nach solch einem Ausstellungsraum lecken. Performances, Konzerte, Filme – mir fallen auf Anhieb zig Sachen ein, die man hier organisieren könnte. Die Aussicht muss hinreißend sein. Leider sehe ich zu dieser Tageszeit nichts als
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