Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)
an den Straßenrand stellen. Es dauert nie länger als ein paar Minuten, und das wertvolle Gut landet bei einem der Menschen, die wie Schatzsucher durch die Hauptstadt ziehen. Eine Glasflasche bringt acht, eine PET -Flasche 25 Cent. Oder kurz gesagt: Soziale Not entlastet die städtische Müllentsorgung.
Dabei habe ich drei verschiedene Typen von Flaschensammlern ausgemacht. Es gibt die Obdachlosen, denen man das jahrelange Leben auf der Straße schon aus hundert Metern ansieht und die meist mit großen Plastiksäcken bewaffnet die Mülleimer durchwühlen. Unscheinbarer sind jene, die sich für ihre Jagd nach ein paar Cent schämen. Sie sind durchschnittlich gekleidet und greifen erst dann in den Papierkorb oder zur Flasche im Dreck, wenn sie sich unbeobachtet fühlen. Und dann gibt es noch die Profis, wie den Typ, der mit einem umgebauten Fahrrad und einem Schild
King of Bottles
durch Kreuzberg und Neukölln cruist. Er klappert mit zwei riesigen Kisten und einem Anhänger die Szeneviertel ab und spielt dabei über einen Kassettenrecorder Musik.
Endlich erreichen wir Rudow, und ich komme raus aus dem Mief. Noch ein paar Minuten länger, und mir wären die belgischen Pommes frites von heute Mittag wieder hochgekommen.
Massenweise drängen sich Touristen aus aller Welt die Treppen runter zur U 7 . Zwei zierliche Japanerinnen stehen vor dem Kiosk an den Gleisen, der Verkäufer reicht ihnen zwei 0 , 5 -l-Bierflaschen. Die Buddeln wirken riesig in den winzigen Händen der beiden jungen Frauen. Momente später rattern wir schon Richtung Hermannplatz, und ich beobachte, wie sie in zaghaften Schlückchen unser Volksgetränk schlürfen.
Ein paar Sitzreihen weiter palavert eine Gruppe Italiener laut und viel. Auch hier darf der halbe Liter natürlich nicht fehlen. Die Jungs haben schon mächtig einen sitzen, prosten sich und allen anderen im Abteil lauthals zu, rülpsen und verschütten Bier. Das ist dann wohl die vielgepriesene Berliner Liberalität, die es zu feiern gilt. Mir scheint, dass sich die Menschen in keiner europäischen Hauptstadt so gehenlassen wie in Berlin.
Station Neukölln. Mir ist heiß, ich bin todmüde, genervt und will nur noch nach Hause. Aber wie könnte es anders sein, steigt jetzt eine fünfköpfige Balkan-Kombo samt Trompeten, Saxophon und Verstärker ein.
Sie krächzen etwas Abscheuliches, das von Schnapsfahnen umweht wie
Hit the Road, Jack
klingt. Als einer der Jungs mit einem Kaffeebecher herumgeht und um Lohn für diese Belästigung bettelt, schauen die meisten verlegen aus dem Fenster. Nur die besoffenen Italiener sind happy und fangen an zu tanzen.
Ich steige am Kottbusser Tor in die U 1 um und freue mich auf mein Bett. Jawohl!
Bett
, nicht Couch! Nach Monaten bei meinem Bruder habe ich nun endlich eine eigene Bude. Zur Zwischenmiete. Erst mal für zwei Monate.
Zunächst muss ich mich auf dem Weg zur Haustür aber noch durch Horden von Sauf-Touristen auf der Schlesischen Straße quetschen. Es ist die Endphase der Fußball-Europameisterschaft, überall vor den Kneipen ist Public Viewing, und es herrscht ein kollektiver Rauschzustand. Hoffentlich kann ich bei dem Lärm halbwegs schlafen. Nach einem langen Wochenende ist der Montag umso brutaler, und Peter hatte letzten Donnerstag irgendetwas von Sandstrahlen gequatscht. Na ja, ich lasse mich überraschen.
Die Sonne glitzert auf dem Wasser der Spree, dahinter liegt der Westgiebel des Speichers noch in Schatten getaucht. Zwei Autos parken davor, ein blauer Porsche 911 Cabrio mit Dresdner Kennzeichen, der aussieht, als komme er gerade frisch aus dem Werk. Daneben steht ein roter Haufen Schrott. Oder, milder gesagt, ein rostiger Opel Kadett, zugelassen in Polen.
Als ich mein Fahrrad am Ufergeländer abschließe, steigt ein dicklicher Mann in einem weißen Overall aus der Rostlaube.
«Der frühe Vogel fängt den Wurm, nich wahr? Ich bin der Rainer», begrüßt er mich und macht dabei mit Zeige- und Mittelfinger das Peace-Zeichen. Auf seiner umgedrehten schwarzen Baseball-Kappe prangt ein roter Kommunistenstern, darunter quellen ziemlich verwahrloste Dreadlocks hervor. Das gibt ihm zwar eine jugendliche Note, seinem verlebten Gesicht nach zu urteilen hat er die 40 aber wohl längst geknackt.
Teile des Bauzauns sind entfernt worden, offenbar muss da heute schweres Gerät durch. Es herrscht ein aufgeregtes Treiben, wie ich es hier auf der Baustelle noch nicht erlebt habe. Ein riesiger Kompressor wird gerade von dem Lkw, der quer vor dem
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