Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)
denken. War das wirklich das Allererste, was dieser Gnom zu mir, einem neuen Gast, gesagt hat?
Richie mustert einen extrem blassen Kerl, der ihm schräg gegenübersitzt.
«Mann, Jochen. Siehst ja echt scheiße aus. Wasn los? Is wieder einer von deinen Spielkameraden abgenippelt?»
Der Typ hört auf, in sein Bierglas zu starren, und blickt durch seine fingerdicken Brillengläser zu uns rüber.
«Nee, keiner gestorben diese Woche …»
«Der is Altenpfleger, weißte», flüstert Richie mir zu.
«… aber ich hab heut Morgen ’nen Hund überfahren. Seitdem gehts mir echt beschissen!»
«Ja, dat is immer nich gut.» Richie presst mitleidig die Lippen aufeinander. «Ich hab ma so ’n Schäferhund angefahren. Da läuft dat Vieh ausm Feld und mir voll vor die Karre. Und dann, als ich aussteige, kommt das Herrchen auch aus dem Feld, weißte, sacht nix, nimmt seinen Köter aufn Arm und geht wieder ins Feld. Ich weiß bis heute nich, wat dat war.»
Jetzt räuspert sich der sonderbare Typ, der die ganze Zeit Apfelkorn säuft. Er trägt ein weißes Unterhemd und darüber einen Bundeswehr-Parka. Ich bin überrascht, hier im tiefsten Kreuzberg einen breiten pfälzischen Dialekt zu hören.
«Isch hab ma ’ne Katz überfahre. Un dann bin isch noch ma zurück, um zu gugge, wie platt die wohl is.»
Niemand antwortet. Alle schauen weg oder greifen stumm zum Bierglas. Richie dreht den Kopf zu mir rüber.
«Der hat zu viele Zeichentricks geguckt.» Er macht eine Wischbewegung mit der Hand vorm Gesicht. «Wahrscheinlich erzählt der dir nachher auch noch von Hans-Peter Briegel. Die kommen aus demselben Kaff, und unser Depp hier hat dem vor Jahrzehnten mal den Rasen gemäht. Immer wenn er besoffen ist, labert der die Leute mit diesem Scheiß Briegel voll.»
Die dritte Runde Bier wird wieder von Kümmerlingen begleitet. Auch beim Austeilen gibt es offenbar ein Ritual, das mir vorhin entgangen ist. Der Deo-Roller legt die Flaschen wieder flach auf den Tresen, nur diesmal mit dem Deckel in Richtung Gast. Sobald alle versorgt sind, beginnt das große Klopfen.
Prost! Reinkippen. Zuschrauben. Flach hinlegen. Deckel nach vorn. Langsam über die Theke schieben. Ich habe es begriffen und werde diese Prüfung heute noch etliche Male mit Bravour bestehen.
«Ey, Richie, kommste nächstes Wochenende mit auf dat Open Air in Wriezen? AC / DC ! Yeah, Mann!» Ein langhaariger Typ mit Vollbart macht das Heavy-Metal-Zeichen, streckt die Zunge raus und wackelt mit seiner zotteligen Mähne.
«Klar, Mann!»
«Geil, Alter! Dieses Jahr gibts auch Show-Rodeo. Weißte, so heiße Ischen auf ’nem Bullen.»
«Dat wird endlich ma wieder ’ne Welle! Ey, Nick, kommste auch mit?»
«Äh, ich hab leider keine Zeit an dem Wochenende. Sonst gerne. Das ist aber ’ne Coverband, oder?»
«’türlich! Glaubste, AC / DC spielen in Wriezen?»
Beim Lachen haut Richie mit der flachen Hand wuchtig auf die Theke.
Inzwischen hat sich die Kneipe geleert, und der Deo-Roller serviert unsere letzten Humpen. Er ist selbst vollkommen blau. Kein Wunder, der Wicht säuft bei jeder Runde mit. Und wie ich erfahre, steht der rund um die Uhr hinterm Tresen.
«Hasse eigentlich nie Angst, dass mal was passiert aufm Bau?», lalle ich Richie ins Ohr.
«Nee, hab ich nicht. Aber aufer Arbeit umkommen, dat wär schon scheiße. Weißte, wat toll wär?» Er stößt sein Bierglas fast um, als er es packen will. «Im Puff totficken! Dat wärs.»
An meinen Heimweg kann ich mich nicht erinnern. Ich schlafe traumlos und schwer in dieser Nacht.
Baustützen! Wo sind die verdammten Baustützen? Der Speicher ist wirklich groß, wenn man etwas sucht und nicht genau weiß, wo es ist. Der Durchbruch ist geschafft, jetzt müssen die Stahlträger rein.
«Hey, Nick, guck dir ma Richie an. Dat passiert dem dauernd», sagt Hans im Flüsterton und nickt mit dem Kopf in seine Richtung. «Der schläft im Stehen ein. Vor allem, wenn er sich zum Frühstück so viel reinstopft wie heute. Deswegen wird der auch nie mit irgendwat feddich.»
Richie steht mit der Kelle in der Hand vor der Mauer und regt sich nicht. Ich kann nicht erkennen, ob er tatsächlich die Augen geschlossen hat, aber die Musik aus seinem heiligen Makita-Radio scheint ihn regelrecht einzulullen.
« RICHIE ! WACH AUF , MANN !», blökt Hans.
Richie zuckt fürchterlich zusammen, legt einen Stein in die nächste Reihe und arbeitet weiter, als wenn nichts gewesen wäre.
Wir brauchen noch zwei Baustützen, und ich dehne meine
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