Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)
sieht aus wie auf einem Schlachtfeld. Statt der Rückbank lagern hinten Luftmatratze, Schlafsack, Kissen, Bierdosen, Wodkaflaschen und mindestens ein Dutzend leere Ravioli-Büchsen. Ist der Typ tatsächlich vom Festival direkt zur Baustelle gekommen?
Die Frage ist spätestens beantwortet, als Rainer sich aus dem Auto schält und uns mit seiner Alkoholfahne beglückt. Der berühmte Schnapsladen ist nichts dagegen. Tiefe, schwarze Furchen liegen unter seinen Augen, die Dreadlocks sind noch siffiger als sonst und haben die gleiche Schlammfarbe wie der Opel.
«Mensch, Rainer, wie war’s beim Festival? Siehst mitgenommen aus!»
«Geil, einfach rattengeil!»
Peter winkt ab und geht.
«Na, heute schon gekotzt? Ich weiß, wat der Junge jetzt braucht.» Rolf ist sichtlich erheitert, als er Rainer in diesem Zustand sieht. «Ne schöne Runde Granaten und Zündkerzen, damit der Motor wieder anspringt.»
Rainer nickt stumm, während Rolf ihm einen Arm um die Schulter legt.
«Na, dann komm ma mit. Du auch, Nick?»
«Äh, weiß nicht. Granaten? Zündkerzen? Das hat doch bestimmt wieder mit Schnaps zu tun?!»
«Halber Liter Bier, dazu ’n Underberg. Und dat is, wat er jetz braucht. Sonst wird dat bei dem heut nix mit arbeiten.»
«Ist gut, aber nicht für mich. Ich muss heute wieder da oben auf dem Gerüst balancieren. Das mache ich dann doch lieber nüchtern.»
Matze und ich stehen wieder auf dem wackeligen Gestell und kleben unsere Bahnen. Etwa 20 Meter entfernt haben die Lackierer einen zweiten Gerüstturm aufgebaut und tragen jetzt Kessel und Farbeimer nach oben. Rainers rasselnden Husten hört man schon aus dem Treppenhaus.
«Der klingt ja wie mein Opa.» Matze guckt entsetzt. «Und der ist 93 .»
«Tja, ein kettenrauchender Lackierer, der seine Schutzmaske nie aufsetzt. Vielleicht keine ganz sooo gute Kombination.» Und da ist er auch schon.
«Hey da oben! Keine Panik aufer Titanic!», ruft Rainer und winkt uns zu. Das Bier und der Schnaps haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Der ist schon wieder besoffen.
Wir kommen zum Glück schnell genug voran, um nicht in den Sprühnebel von Pawel und Rainer zu geraten. Dem fiesen Lösemittelgeruch können wir trotz der Entfernung aber nicht entgehen.
Peter, der Schlaumeier, hat uns heute Staubmasken zum Schutz hingelegt. Die nutzen natürlich überhaupt nichts. Es wird eben gespart, wo es nur geht.
Wie die beiden da oben auf dem Gerüst im Kabelsalat stehen und mit Kippe im Mundwinkel kopfüber das Metall lackieren, das würde jedem Sicherheitsbeauftragten einen Herzinfarkt bescheren. Dazu mischt sich ständig Rainers Reizhusten in das Zischen der Düsen. Ganz stabil wirkt er auch nicht. Ich frage mich, wie viele «Zündkerzen» Rolf ihm wohl kredenzt hat.
Es dauert keine halbe Stunde, da bekomme ich eine kunstreife Performance geliefert.
Rainer stolpert über ein Kabel und lässt dabei seine Spritzpistole los, die wild gegen die Metallstrebe schlägt. Als er wieder nach der Düse greift, erwischt er nur den Schlauch und reißt ihn ab. BOOM ! Ein ganzer Farbschwall explodiert vor Rainers Gesicht. Geistesgegenwärtig hält Pawel ihn am Arm, Rainer gewinnt wieder Gleichgewicht, tritt dabei aber die Bohrmaschine vom Gerüst. Die segelt kerzengerade in den frisch geöffneten Farbeimer am Boden. KLATSCH ! Und für ein paar Sekunden entsteht ein wunderschöner Farbspringbrunnen.
Wow! Am liebsten würde ich die Folie weglegen und applaudieren! Der Künstler Jimmie Durham hätte das nicht besser gekonnt. Von ihm gibt es eine Video-Performance, bei der ein Stein in einen Farbeimer fällt und eine bunte Fontäne erzeugt. Aber diese Choreographie war eindrucksvoller!
«Auf den Schreck erst mal alle noch ’ne Zündkerze, wa?», kommentiert Rolf und spuckt dabei Farbe aus. Er stand nur ein paar Meter neben dem Eimer und ist jetzt rotbraun besprenkelt.
Rainer liegt vollkommen erschöpft auf dem Gerüst. Farbe tropft ihm aus den Dreadlocks.
«Schmeiß mal die Flasche Terpentin hoch!», brüllt Pawel.
Und dann sitzen sie da. Wie zwei Affen, die sich gegenseitig von Flöhen befreien. Pawel reibt Rainer das Gesicht mit einem Lappen sauber, während der verzweifelt versucht, die Farbe aus seinen verfilzten Haaren zu bekommen.
Was für ein Start in die Woche.
Kapitel 13 Vom Winde verweht
Herbstlicher hätten die letzten Tage nicht sein können. Es stürmt, und zwar gewaltig. Abgebrochene Äste und Zweige machen die Wege für Fahrradfahrer zu einem Slalomparcours. Buntes
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