Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)
Laub pflastert Berlin. Ich stehe im fünften Stock des Speichers und beobachte die tobende Spree. Sichelförmig kräuselt sich das Wasser im Nordostwind.
Der Wind peitscht gegen die Werbebanner der Baufirmen, die mit Kabelbinder am Gerüst angebracht sind. Die Metallösen klappern an den Aluminium-Stangen, und ein Pfeifen schießt durch die Ritzen des Gebäudes.
Es ist Freitag, kurz nach Mittag. Die Lackierer haben die Baustelle schon verlassen. Sie haben ganze Arbeit geleistet: Die meisten Stahlsäulen und Träger im Inneren des Speichers leuchten bereits in « DB 703 Eisenglimmer». Der erste Gedanke täuscht nicht. Die Käufer haben sich eine Farbe aus der Farbtonkarte der Deutschen Bahn ausgesucht. Sonst findet man dieses gräuliche Kolorit vor allem draußen an Brücken und Bahnhöfen. Hier in den Apartments wirkt der Ton eher düster und bedrückend.
Mit einem Klemmbrett bewaffnet, folge ich Peter, dem Fensterbauer Loos und dem Architekten Hessel, die hintereinander durch den Speicher dackeln. Wir machen die Fensterabnahme, also die letzte Kontrolle aller eingebauten Fenster, bevor sie offiziell an Peter übergeben werden und er damit die Verantwortung für eventuelle Folgeschäden übernimmt.
Dies ist schon der zweite Abnahmeversuch, beim ersten Mal ist die Begehung im Streit abgebrochen worden. Es gab die üblichen Differenzen wegen der Mängelbehebung. Die alte Leier auf der Baustelle: Wer trägt die Verantwortung, wenn Fehler gemacht wurden, und wer muss dafür zahlen? Natürlich will es nie jemand gewesen sein, und zahlen will erst recht keiner – also wird’s kompliziert.
Herr Loos läuft vorweg, auf seinem Gebäudeplan sind alle Fenster penibel durchnummeriert. Ich soll die festgestellten Fehler mit der entsprechenden Nummer notieren.
Peter geht von Fenster zu Fenster und prüft jeweils sorgfältig den Schließmechanismus.
«Hier isn Riss in der Scheibe. Welche Nummer is dat, Herr Loos? Und dat Silikon ist auch schlampig aufgebracht! Da!»
« 503 . Die Scheibe wird ausgetauscht und dat Silkon neu gemacht. Um dat festzustellen, sind wir ja hier.»
«Dat da is okay. Und dat hier hat nur ’n leichten Farbschleier abgekricht.»
«Dat machen wir aber nicht», kommt es von Loos wie aus der Pistole geschossen.
«Jaja, ich weiß», brummt Peter zurück.
Hoffentlich eskaliert das zwischen den beiden nicht schon wieder.
«Insgesamt sind die Fenster im fünften Stock alle tadellos eingebaut, Herr Loos. Es müssten hier und da noch ein paar Feinjustierungen vorgenommen werden, aber das ist ja sicherlich kein Problem», lobt Architekt Hessel, dessen Frisur mich an ein Playmobil-Männchen erinnert.
«Für die Feinjustierung kommen meine Leute wieder, wenn alle staubigen Arbeiten abgeschlossen sind. Ansonsten müssten die hier ja zigfach antanzen. Aber dat is geklärt, nich wahr, Herr Zwifka?»
«Ja. Gehen wir eins tiefer.»
Peter und Herr Loos gehen vor. Am Treppenabsatz schaut mich Hessel an und schüttelt den Kopf.
«Das Sandstrahlen war tödlich für die Fenster. Die ganzen Scharniere sind voller Staubkörner. Diese Art von Säuberung ist eigentlich nicht die Aufgabe von Herrn Loos. Was hat sich Peter bloß dabei gedacht?»
Ich kann nur mit den Achseln zucken. «Du kennst ihn länger als ich.»
Kaum sind wir unten, gibt es einen schallenden Knall. Alle blicken gleichzeitig nach draußen und sehen ein großes Werbebanner durch die Luft fliegen. Es wird von einer Böe erfasst und herumgewirbelt, jetzt erkennen wir die Aufschrift: «Architektenbüro Hessel & Partner». Der Sturm hat das Schild aus den Metallösen gerissen und trägt es in Schleifen Richtung Spree. Noch eine Pirouette, dann verliert der Wind das Interesse, und das Banner landet im Wasser.
«Auch das noch!», stöhnt Hessel müde und genervt.
Bei den kleinen Fenstern in der vierten Etage gibt es nichts zu beanstanden. Aber dann sind da ja noch die mächtigen Flügeltüren vor den Balkonen. Ich kann mich gut erinnern, wie der Ami mit drei Kollegen hier geschwitzt und unter größter Anstrengung die Rahmen eingebaut hat. Peter steht unzufrieden vor der zweiten Tür.
«Guck ma, dat is nich gerade eingebaut. Dat is nich im Lot!»
Loos nimmt die Wasserwaage. Der Einspielpunkt der Libelle steht fast genau zwischen den beiden Linien.
«Dat is im Lot! Dat is wahrscheinlich dat Mauerwerk, dat is schief.»
«Nee, nee. Von hier aus is dat total schief. Dat muss raus!»
Wir nehmen alle ein paar Schritte Abstand und begutachten die
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