Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)
dich auf die silberne Diskokugel, und alles wird gut.
Ich gewöhne mich langsam, sehr langsam an die Situation. Aber arbeiten werde ich in dieser Höhe auf gar keinen Fall. Denn um das hier zu ertragen, muss ich mich noch immer mit beiden Händen krampfhaft am Korbgeländer festhalten.
Und als ich da oben so schweißgebadet über Berlin schwebe, rattern plötzlich meine Gedanken. Was mache ich hier eigentlich? Wie lange bin ich nun schon auf dieser verdammten Baustelle? Auf einmal sitze ich jeden Morgen beim selben Bäcker und bestelle den gleichen wässrigen Kaffee und das gleiche fade Brötchen mit Schinken und Käse. Jeden Mittag geht es zur selben abgeranzten Kantine. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. So abgedroschen das klingt, es ist wahr. Wie schnell gerät man in einen Rhythmus, den man nach kürzester Zeit nicht mehr hinterfragt.
Ich bin ein Bauarbeiter. Vielleicht immer noch kein guter, weil ich mich hier oben vor Panik kaum bewegen kann, aber seit zehn Monaten ist dies mein Job.
Grace dringt in meine Gedanken. Sie beschwört mich inzwischen fast täglich, ich solle mir endlich etwas Neues suchen. Ständig hat sie Angst, dass mir auf der Baustelle etwas Ernsthaftes zustößt.
Als eine Windböe den Korb noch einmal so richtig ins Schwanken bringt, steht mein Entschluss fest: Das war’s. Ich höre hier auf!
Kapitel 14 Trümmermänner
Wir laufen über die Original-Tragfläche einer Boeing 737 – 500 , die passgenau in einem der Räume installiert ist. Das Deutsche Guggenheim Berlin zeigt eine Ausstellung von Roman Ondak mit dem Titel
Do not walk outside this area.
Wie häufig saß ich schon in Flugzeugen und verspürte den Drang auszusteigen. Immer wenn ich durch das kleine Fenster blicke, frage ich mich, wie es sich wohl anfühlen würde auf dem Flügel zu stehen.
Die Installation ist großartig. Obwohl ich mich nur einen Meter über dem Boden befinde, weckt das Gefühl meine Vorstellungskraft. Ich kann die Menschen hinter den runden Scheiben sehen, wie sie mir aufgeregt zuwinken und mich auffordern, wieder in das Flugzeug zu kommen. Grace hält mich im Arm.
«Come on, Nicholas, tell them.»
«Okay, ich erzähle es ja. Also, ich habe den Job in London», wende ich mich an unsere Freunde.
«Herzlichen Glückwunsch! Das ist phantastisch. Und die Baustelle?», fragt Kai.
«Ich bleibe noch bis Weihnachten, dann ist Schluss.»
«Wissen die schon, dass du aufhörst?»
«Nein, noch nicht. Muss ich denen am Montag sagen.»
Kais Frau Blanca deutet auf ihren Bruder Pau, den sie auf die Ausstellung mitgenommen hat.
«Nicholas, kannst du auf der Baustelle vielleicht mal fragen, ob es da einen Job für meinen Bruder gibt? In der Bar haben sie ihm gekündigt, und er braucht dringend was Neues.»
Pau steht schüchtern neben seiner Schwester und fummelt an seiner Brille herum.
«Ich will nicht zurück nach Barcelona, keine Jobs da.»
«Kannst du körperlich arbeiten? Das kann sehr anstrengend sein da. Und richtig kalt wird’s bald auch wieder.»
Ich weiß, dass Pau Komposition studiert hat und als feinsinniger Musiker nicht gerade beste Voraussetzungen für die Maloche auf dem Bau mitbringt.
«Kein Problem.»
«Ist gut, ich frage mal nach. Aber du musst dir dann einen Schnäuzer stehen lassen», zwinkere ich ihm zu.
«Was?»
Ich zeige auf den dicken Schnurrbart, den ich seit Monaten trage. Ich bin wirklich schon zu lange auf der Baustelle, glaube ich.
«Un bigote», übersetzt Blanca.
Pau ist erst vor drei Monaten aus Spanien gekommen, und dafür ist sein Deutsch wirklich gut. Aber natürlich fehlen ihm noch eine Menge Vokabeln.
«Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viele Leute mich in London angesprochen haben, ob ich auch an der ‹Movember›-Aktion teilnehme, weil ich einen Schnäuzer trage.»
«Was ist das? ‹Movember›?», fragt Kai.
«Ein Kofferwort aus ‹moustache› und ‹november›. Männer lassen sich Oberlippenbärte wachsen, um einen Monat lang Spenden für Forschungsprojekte zu sammeln. Es geht vor allem um die Vorbeugung gegen Prostatakrebs.»
«Also kein neuer Style?»
«Nein, ich dachte auch erst, das wäre ein Modetrend oder mal wieder die Ironisierung des Schnurrbarts aus den fünfziger Jahren, wie sie Durrell beschreibt. Aber ausnahmsweise geht es wirklich mal um einen guten Zweck.»
Vor einem knappen Jahr hätte ich mir das nicht träumen lassen, aber nach der langen gemeinsamen Zeit löst der bevorstehende Abschied gemischte Gefühle aus. Es ist mir
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