Schutzlos: Thriller (German Edition)
und zuckte nicht zusammen, als Loving drei Schüsse rasch hintereinander abgab. Ich konnte nicht sehen, ob Ryan getroffen worden war; er marschierte einfach weiter und spähte aus zusammengekniffenen Augen in die Dunkelheit.
Dann war es plötzlich still. Kessler war selbst bei diesen schlechten Sichtverhältnissen in Reichweite der Glock, und doch schoss Loving nicht. Als ich aufblickte, sah ich, warum. Loving hatte nicht gewusst, wie viele Kugeln noch in meiner Waffe waren, und jetzt hatte er das Magazin leergeschossen. Der Schlitten war zurückgefahren und wartete darauf, neu geladen zu werden.
Loving würde davon ausgehen, dass ich möglicherweise noch ein Magazin bei mir hatte, was tatsächlich der Fall war. Er warf einen Blick zu Ryan, der gleichmäßig vorwärtshinkte und zu zielen versuchte.
Loving bewegte sich, und Ryan feuerte. Dann war auch seine
Munition zu Ende. Ich hörte das Klicken des Hammers auf verbrauchtem Messing. Er zog einen Schnelllader vom Gürtel und ließ den Zylinder der Waffe aufspringen, um die Hülsen auszuwerfen und neu zu laden.
Loving krabbelte auf mich zu und streckte die Hand nach meiner Jackentasche aus. Ich drehte mich blitzartig auf den Bauch, ohne auf den grässlichen Schmerz in meiner Zehe zu achten, um zu verhindern, dass er an das Reservemagazin herankam. Loving blickte in Richtung Ryan, der gerade die Patronen einführte, dann riss er die Jacke unter mir heraus und tastete nach der Tasche. Ryan kam näher.
Jetzt war Loving verzweifelt.
Ich bot alle Kräfte auf, die ich noch hatte, riss meine Knie ruckartig nach oben und stieß sie in Lovings Seite, dort wo ich ihn vor zwei Tagen angeschossen hatte. Er stöhnte vor Schmerz, verlor das Gleichgewicht und landete auf dem Gesäß.
Dann verzog er das Gesicht, blinzelte, beugte sich wieder vor und fischte das volle Magazin aus meiner Jacke. Er lud die Glock neu.
Sein Gesicht war nur rund einen Meter von meinem entfernt, als Ryan Kessler ihm zweimal in die Brust schoss. Henry Loving blinzelte, sackte zusammen und kippte dann zur Seite. Und als er starb, waren es meine Augen, in die er starrte, nicht die des Polizisten.
Nun setzte sich auch Kessler auf den Boden und betrachtete einen blutigen Riss in seinem Bauch. Entsetzen stand in seinem Blick. Offenbar jedoch nicht wegen dieser Wunde, so übel sie mir erschien; es war Lovings zweiter Treffer, der ihn vor allem störte. Er seufzte angewidert und drückte die Hand auf den blutenden Oberschenkel. »Mein anderes Bein.« Er sah mich an. »Das gesunde. Dieser Hurensohn.« Dann verlor er das Bewusstsein.
66
Eine halbe Stunde später war die alte Militäreinrichtung beleuchtet wie ein Rummelplatz und von hundert Agenten und Rettungskräften bevölkert. Ich stand im vorderen Teil des Geländes.
Freddys taktische Teams arbeiteten sich mit Atemschutzgeräten durch das Gebäude, damit die Feuerwehrleute nachrücken konnten. Sie hatten die drei Männer von Loving gefunden, alle tot, aber das Feuer tobte immer noch an der Stelle, wo Pogue seine letzte Position bezogen hatte, und sie konnten seine Leiche noch nicht bergen. Der Wächter vorn am Eingang war inzwischen bei Bewusstsein und mit Handschellen gefesselt worden.
Nicht weit entfernt von mir bereiteten Sanitäter Ryan Kessler für den Transport ins Krankenhaus von Leesburg vor. Er war wieder bei Bewusstsein und schien nicht so schwer verwundet zu sein, wie ich gedacht hatte. »Rein und raus«, sagte er, derselbe Ausdruck, mit dem Dr. Frank Loving den Lauf meiner Kugel durch die Seite seines Cousins beschrieben hatte.
Ich hatte Joanne angerufen, um ihr mitzuteilen, dass es ihrer Stieftochter gut ging und dass ihr Mann angeschossen worden war. »Sein Zustand ist stabil«, sagte ich. Ich nannte ihr den Namen eines Arztes, den sie anrufen konnte. Dann musste ich ihr die Nachricht über Pogue eröffnen. Sie blieb einen kurzen Moment stumm, dann dankte sie mir dafür, dass ich ihr Bescheid gesagt hatte und sie es nicht von jemand anderem würde erfahren müssen.
Ich fragte mich erneut, welche gemeinsame Geschichte die beiden hatten.
»Sie haben Ryan entkommen lassen, richtig?«, fragte ich.
Erneut eine kurze Pause. »Ja. Ich habe Lyle abgelenkt.«
Sie musste einen von uns beim Eingeben des Codes zur Deaktivierung des Türalarms beobachtet und sich die Nummer gemerkt haben. Oder vielleicht hatte sie irgendein Gerät zum Knacken von Codes in ihrer Handtasche versteckt.
»Er hat mir das Leben gerettet«, erklärte ich.
Ich sah,
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