Schutzlos: Thriller (German Edition)
ist nicht weit entfernt. Es ist hübsch dort.« Ich sagte nichts Genaueres über die Lage. Das tat ich nie. Ich verband Mandanten nicht die Augen, bevor ich sie zu einem sicheren Haus fuhr, und sie bekamen wahrscheinlich eine ungefähre Vorstellung davon, wo es lag, aber ich verriet nie jemandem die Adresse. »Wenn ich Sie nun bitten dürfte, mit dem Packen zu …«
»Amanda«, unterbrach mich Joanne und fuhr, da sie offenbar vergessen hatte, dass sie es bereits erwähnt hatte, fort: »Wir haben eine Tochter. Sie ist sechzehn. Ry! Wo ist sie? Ist sie schon von der Schule zurück?«
Mandanten reagierten oft mit Hyperaktivität und sprangen von einem Einfall zum nächsten. Zuerst dachte ich, sie hätte vergessen, dass Samstag war, aber dann stellte sich heraus, dass das Mädchen an den Wochenenden einen Computerkurs in einem nahegelegenen Community College belegte.
»Ich habe sie vor einer halben Stunde zurückkommen hören«, sagte Ryan.
Joanne starrte auf die leuchtend gelben Handschuhe. Sie streifte sie ab und drehte den Wasserhahn zu. »Ich überlege gerade …«
»Ja?«, assistierte ich.
»Ich will sie nicht dabeihaben. Amanda, meine ich. Ich will nicht, dass sie mit uns in dieses sichere Haus geht.«
»Aber sie ist ebenso sehr in Gefahr wie Ryan. Genau wie Sie… ich meine, was ich über den Vorteil sagte, den Loving anstrebt …«
»Nein, bitte«, sagte sie.
Es schien Joanne sehr wichtig zu sein, dass das Mädchen von ihnen getrennt wurde. Ich rief mir in Erinnerung, dass es nur Ryans Tochter war, und fragte mich, warum die Kesslers keine eigenen Kinder bekommen hatten. Vielleicht hatte er sich während seiner ersten Ehe die Samenleiter durchtrennen lassen, oder Joanne hatte keine Kinder bekommen können, oder vielleicht hatten sie schlicht beschlossen, keine Familie zusammen zu gründen. Da ich gern möglichst viel über meine Mandanten weiß, denke ich über solche Dinge nach. Es kann einen Unterschied ausmachen. Joanne starrte auf das Geschirr und legte die Handschuhe beiseite.
Ryan dachte ebenfalls darüber nach. »Du hast recht. Schaffen wir sie irgendwohin, wo sie nicht in Gefahr ist.« Er dachte offenbar an die Möglichkeit eines Feuergefechts mit Loving, von der ich vorhin gesprochen hatte.
» Wir gehen in das sichere Haus«, sagte Joanne. »Aber sie geht woandershin. Nur so erkläre ich mich einverstanden.«
»Du gehst mit Amanda«, fiel Ryan plötzlich ein.
»Nein«, sagte sie unnachgiebig. »Ich bleibe bei dir.«
»Aber …«
»Ich bleibe.« Sie nahm seine Hand.
Ich trat wieder ans Fenster und sah hinaus. Joanne bemerkte es, so wie es ihr Mann zuvor bemerkt hatte, und meine offensichtliche Besorgnis gefiel ihr nicht. Ich drehte mich zu ihnen um. »Ich habe im Prinzip nichts dagegen, aber ich habe nicht genügend Leute, um Ihre Tochter in einem separaten sicheren Haus unterzubringen. Können Sie sie irgendwohin schicken? Solange es keinerlei Verbindung zu Ihnen oder Ihrer Familie gibt und ihr Name in keinen Reiseunterlagen oder auf Kreditkartenbelegen auftaucht …«
Loving und andere Lifter verschafften sich ohne Weiteres Zugang zu Informationen aus Datenbanken.
»Bill«, sagte Joanne plötzlich.
»Wer?«
»William Carter«, erklärte Ryan. »Er ist ein Freund der Familie. Er war mit mir bei der Polizei. Ist vor etwa zehn Jahren in den Ruhestand gegangen. Sie könnte bei ihm bleiben.«
Ich überlegte, ob Loving ihn wegen seiner früheren Verbindung zu Ryan aufspüren konnte. »War er ihr Partner? Waren Sie je zusammen im Einsatz? Ist er Amandas Pate?«
»Nein, er ist nur ein Freund. Wir waren nie in derselben Abteilung. Er hat dieses Haus an einem See in Loudoun County, in der Nähe von White’s Ferry. Dort könnten sie hinfahren. Amanda mag ihn. Er ist ein Ersatzonkel, könnte man sagen. Und er ist ein Expolizist«, wiederholte er.
»Sie sind absolut sicher, dass niemand Sie beide zusammenbringen kann? Sie besitzen nichts zusammen, ein Boot, ein Auto? Haben Sie sich je Geld geliehen, das in öffentlichen Akten auftaucht, Grundbesitz voneinander gekauft?«
»Nein, nichts.«
»Kann er in zehn Minuten hier sein?«
»In fünf. Er wohnt eine Siedlung entfernt. Er wollte heute Nachmittag zum Spiel gehen, aber für so etwas wird er seine Pläne im Handumdrehen ändern.«
Ich öffnete meine Tasche und zog meinen Laptop heraus. Ich fuhr das Gerät hoch und begann, Befehle in ein neues Fenster zu tippen, dann sah ich mir die Informationen aus der sicheren Datenbank unserer
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