Schutzlos: Thriller (German Edition)
ich nicht dachte, sie würden gegen mich ermitteln. »Da ist eine Sache aufgetaucht – eine Operation, die Sie geleitet haben, in Newport, Rhode Island. Vor zwei Jahren.«
Aha, das war es also.
»Ich habe den gesamten Untersuchungsbericht hier.«
Sie legte ständig Pausen ein, als wollte sie mir die Gelegenheit zu einer Bestätigung oder einem Widerspruch geben. Ich blieb stumm.
»Bei dem Einsatz haben Sie mit zwei Kollegen Ihrer Organisation mehrere Zeugen vor demselben Mann beschützt, der auch in diesen Fall verwickelt ist. Henry Loving.«
Sie legte wieder eine Pause ein. Ich fragte mich, ob Westerfield sie ebenso testete wie ich DuBois, Ahmad oder meine anderen Zöglinge. Recherchieren als solches ist leicht. Aber es ist schwer, das Ergebnis auf jemanden zu richten und abzudrücken.
Offenbar feuerte Teasley nicht schnell genug. Ihr Boss übernahm das Kommando. »Lassen Sie mich vorlesen, Corte: ›Es wurde behauptet, dass Agent Corte‹« – die Innenrevision des Justizministeriums hatte ebenfalls den falschen Titel benutzt; nicht allzu viele Leute kennen sich mit unserer Organisation aus – »›einem Interessenkonflikt bei der Leitung der Kowalski-Bewachung ausgesetzt war, durch den die beiden Zeugen in seiner Obhut gefährdet wurden. Obwohl ein halbes Dutzend Personenschutzprofis von drei verschiedenen Regierungsbehörden aussagten, das Standardverfahren hätte darin bestanden, die beiden Zeugen im Bundesgefängnis von Providence, Rhode Island, in Schutzhaft zu nehmen, entschied sich Agent Corte dafür, es nicht zu tun, sondern die Zeugen zuerst in einem Motel unterzubringen und sie dann in ein sicheres Haus außerhalb von Newport, Rhode Island, zu verlegen.‹«
»Ich bin vertraut mit dem Bericht«, sagte ich und bremste scharf für einen trägen Hirsch.
Er fuhr jedoch fort zu lesen. »›Als Folge davon verletzte
Henry Jonathan Loving, der dazu angeheuert worden war, die Zeugen zu entführen und Informationen von ihnen zu erpressen, einen lokalen Polizeibeamten und einen Passanten. Es wäre ihm beinahe geglückt, zumindest einen der Zeugen zu kidnappen. Bei der Untersuchung der Angelegenheit und ihrer Handhabung kam ans Licht, dass eben jener Loving Cortes Vorgesetzten Abe Fallow, den Direktor von …‹ – hier ist der Bericht geschwärzt – ›und persönlichen Freund Cortes, ermordet hatte. Der Untersuchungsausschuss folgerte, dass Agent Corte, von persönlichen Rachegefühlen motiviert, beschlossen hatte, die Zeugen nicht in das Bundesgefängnis zu verlegen, sondern im öffentlichen Raum zu belassen, weil er wusste, dass Loving versuchen würde, sie zu entführen. Er hat die Zeugen praktisch als Köder benutzt, um Loving zu fangen oder zu töten. Dies wird von der Tatsache gestützt, dass die Zeugen verurteilte Schwerverbrecher waren und Agent Corte sich folglich eher berechtigt gefühlt haben dürfte, sie in Gefahr zu bringen. Es war reines Glück, dass die Zeugen nicht verloren gingen und der Prozess termingerecht fortgesetzt werden konnte‹«, schloss Westerfield.
»Reines Glück«, wiederholte ich leise. Etwas, woran ich absolut nicht glaube.
»Nun?«
Das Gefängnis in Providence war gefährlicher als die schlimmsten Viertel der Stadt selbst, und das will einiges heißen. Meine damalige rechte Hand hatte erfahren, dass Henry Loving mit wenigstens zwei Leuten in dem Knast Geschäfte gemacht hatte. Und was die Mandanten angeht, ja, es waren Verbrecher gewesen. Aber wir Schäfer fällen nie moralische Urteile über die Leute, die wir beschützen. Die einzige Eigenschaft, auf die es bei einem Mandanten ankommt, ist ein schlagendes Herz. Wir tun alles, damit es so bleibt.
Aber ich hatte mich gegenüber meinem Boss nicht gerechtfertigt,
und ich würde es gewiss nicht gegenüber Westerfield und seiner jungen Assistentin tun.
»Hier ist es genau die gleiche Geschichte, Corte. Das Motel in Providence, das Hillside Inn. Das sichere Haus dort, das sichere Haus hier. Soweit wir rekonstruieren konnten, hätten Sie nach Lovings Auftauchen im Hillside sofort fliehen können, aber Sie haben auf der Rückseite des Motels gehalten. Sie haben ihn angegriffen, während die Kesslers mit Ihnen im Wagen saßen.«
Wer sich erklärt, ist schwach, Corte. Ein Schäfer darf nicht schwach sein. Er kann sich irren, aber er darf nicht schwach sein …
Abes Gedanken, natürlich.
Westerfield musste wirklich aufgebracht sein. Er war im Laufe dieses Gesprächs nicht einmal ins Französische verfallen.
Ich
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