Schwaben-Angst
sie sich erinnern konnte.
Sie hatten die Telefonanschlüsse, dann die Grundbucheinträge der gesamten Umgebung durchkämmt, waren schließlich auf Berglen und seinen Ortsteil Oppelsbohm gestoßen. Die malerische Landschaft ließ jeden Gedanken daran, dass sich hier eine mehrfache Mörderin versteckt halten sollte, als irreal erscheinen.
»Ist das nicht eine Sache für das SEK?«, hatte Felsentretter gefragt.
Neundorf war anderer Meinung. »Eine Frau, die mit Gift tötet und sich ihre Opfer offensichtlich bewusst aussucht, schießt nicht wahllos um sich. Wir brauchen kein Sondereinsatzkommando.«
Das kleine, windschiefe Haus stand leicht erhöht über der Straße, war von einem verwilderten, über und über mit Büschen und hohen Sträuchern belebten Garten umgeben. Efeu wucherte an der Fassade hoch. Die Fenster in beiden Stockwerken waren geschlossen, dichte Vorhänge verhinderten den Blick ins Innere. Auf dem Dach fehlten mehrere Ziegel.
Links und rechts des Gebäudes standen zwei kleine Holzschuppen, schief und baufällig der eine, neu gestrichen und mit einem dicken Schloss versehen der andere.
Neundorf und Wintterlin entsicherten ihre Waffen, bewegten sich langsam auf das Haus zu. Der Weg bestand aus alten Steinquadern, abgetreten, von Unkraut und Moosschwämmen überwuchert, mit spitzen Kanten und kleinen Tennisball-großen Schlaglöchern. Die Glocke neben der Tür verriet keinen Hinweis auf den Namen der Bewohnerin.
Neundorf läutete, wartete auf eine Reaktion. Zwei Autos fuhren vorbei. Am Ortsausgang kräftig beschleunigend, übertönten sie alle anderen Geräusche. Die Kommissarin blickte nach oben, suchte die Fenster mit ihren Augen ab. Nichts bewegte sich, kein Laut war zu hören.
Neundorf läutete erneut, diesmal kräftiger, mehrere Sekunden lang, vergebens.
Anja Wintterlin zeigte auf einen großen Schlüsselbund. »Wir öffnen, ja?«
Die Kommissarin nickte, beobachtete sorgfältig die Fassade und die Umgebung des Gebäudes, während sich die Kollegin an der Tür zu schaffen machte. Wenige Minuten später ging sie auf.
Neundorf sah die neugierigen Augen eines älteren Mannes drei Häuser weiter, der aus seinem Fenster heraus das Geschehen auf Katja Dorns Grundstück aufmerksam verfolgte, sicherte mit ihrer Waffe die Tür.
»Frau Dorn, hier ist die Polizei«, rief sie laut. Sie lauschte ins Innere, hörte das leise Tropfen eines Wasserhahns.
Anja Wintterlin legte den Zeigefinger über die geschlossenen Lippen, wies mit einer Kopfbewegung ins Innere. Vorsichtig, die entsicherten Waffen in der Hand, drückten sie sich der Wand entlang durch die Diele. Der Geruch von gekochtem Essen, Kaffee und säuerlichem Wein lag in der Luft, ein deutliches Zeichen dafür, dass das Haus bewohnt war.
Neundorf schob sich an einem großen Schrank vorbei, erreichte den ersten Raum, drückte die Tür blitzschnell auf. Ein Fenster tauchte das kleine Zimmer in helles Licht, vereitelte jede Gelegenheit, sich darin zu verstecken. Sie überflog die Einrichtung mit einem Blick. Ein altes Sofa, ein schwerer, vierbeiniger Tisch, mehrere Stühle, dazu ein wuchtiger, dunkler Schrank.
Dem Wohnzimmer gegenüber die Küche, mit einer alten, weiß lackierten Anrichte, Herd, Wandschrank und einer einfachen Sitzgruppe um einen rechteckigen Tisch. Ungespülte Teller, frische Essensreste in verschiedenen Töpfen, der tropfende Wasserhahn.
Gleich anschließend eine winzige Vorratskammer, randvoll gefüllt mit haltbaren Lebensmitteln, alten Geräten, angestaubt wirkendem Mobiliar.
Sie durchkämmten den Rest des kleinen Gebäudes, stießen im oberen, von der Dachschräge stark verengten Stockwerk auf ein kleines Schlafzimmer mit einem frisch benutzten ungemachten Bett, dazu auf einen Korb voll weiblicher Schmutzwäsche.
Neundorf betrachtete die Einrichtung mit skeptischem Blick. »Es gibt zwei Möglichkeiten«, meinte sie, »entweder Frau Dorn ist gerade unterwegs und wird hier bald wieder auftauchen. Oder sie hat Lunte gerochen und ist getürmt. Was denkst du?«
»Das Foto Herbert Bauers in der Zeitung«, antwortete Anja Wintterlin. »Sie hat es heute Morgen entdeckt und ist sofort verschwunden.«
Neundorf nickte, steckte eine der gebrauchten Tassen und einen Löffel aus der Küche in eine Plastiktüte, versuchte, nichts sonst zu berühren. »Wir müssen das Haus auf jeden Fall überwachen. Vielleicht haben wir doch Glück und sie ist nur einkaufen. Obwohl es nicht danach aussieht. Mir ist es zu riskant, die Techniker kommen zu
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