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Schwaben-Angst

Schwaben-Angst

Titel: Schwaben-Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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einen Fußabdruck Größe siebenunddreißig, achtunddreißig – wie in Rotenberg.«
    »Das ist schlecht«, meinte Hofmann, »dann muss ich die Sache übernehmen.«
    Braig berichtete, was er wusste, versprach, sich später bei ihm zu melden. Hofmann war eine der sympathischsten Personen im gesamten Bereich der Staatsanwaltschaft, er hatte mehrfach mit ihm zusammengearbeitet, dabei ausnahmslos gute Erfahrungen gemacht. Braig wandte sich wieder dem Organisten zu. »Wissen Sie zufällig, wo Herr Hemmer wohnt?«
    »Tut mir Leid.« Wolfgang Reck schüttelte den Kopf. »Sie müssen die Pfarrer fragen oder einen der Kirchengemeinderäte, vielleicht wissen die Bescheid. So gut kannte ich ihn nicht.«
    »Dann bedanke ich mich für Ihre Mitarbeit.« Braig reichte ihm seine Karte. »Wenn Ihnen noch etwas einfällt …« Er gab ihm die Hand, verabschiedete ihn.
    »Mit dem Gottesdienst wird es heute wohl nichts mehr?«
    »Ich fürchte, nein. Die Techniker müssen alles gründlich absuchen, das ist unverzichtbar.«
    Wolfgang Reck nickte, lief leise, wie auf Zehenspitzen, den Mittelgang der Kirche entlang zum Ausgang.
    Braig drehte sich wieder nach vorne, schaute zur Orgel. Hutzenlaub pinselte irgendeine Stelle auf dem Boden mit weißem Pulver ein, Rössle starrte durch eine breite Lupe auf die rechte Kante des Altars.
    Was will die Mörderin oder der Mörder mit den Noten, überlegte Braig. Stehen sie in irgendeiner Weise mit ihr oder ihm in Verbindung?
    Er glaubte, der junge Organist habe das Gotteshaus ebenso leise verlassen, wie er den Mittelgang entlang weggegangen war, als er ihn plötzlich wieder neben sich sah. Braig schrak zusammen.
    »Verzeihung«, Recks Worte waren nur ein Flüstern, »ich habe noch eine Frage.«
    »Ja?«
    »Wenn ich jetzt raus komme, vor die Kirche, die vielen Leute«, er kam ins Stottern, »kann ich dann sagen, was passiert ist?«
    Braig schaute ihn mit großen Augen an.
    »Die sind neugierig, verstehen Sie?«
    Der Kommissar glaubte zu träumen. »Vielleicht äußern Sie sich zurückhaltend«, antwortete er, »sagen Sie einfach, wir wüssten noch nicht, warum er starb.«
    Reck nickte verständnisvoll, machte sich wieder auf den Weg. Diesmal blickte Braig ihm nach, bis er die Kirche endgültig verlassen hatte. »Gibt es das noch?«, sinnierte er laut. »Einen jungen Mann, der um Erlaubnis fragt, ob er das, was er soeben erfahren hat, weitererzählen dürfe?«
    Braig schüttelte den Kopf. Wann immer ein Verbrechen geschehen war, ob am Tag oder mitten in der Nacht, es brauchte nur Minuten, bis eine vor Neugier triefende Meute aus dem Nichts aufgetaucht war und jede ihrer Ermittlungen fast bis zum Gehtnichtmehr behinderte. Wissbegierige Leute, nach Sensationen lechzende Visagen, laut mit den perversesten Vermutungen um sich werfende, nach Informationen gierende Gestalten gehörten inzwischen zu ihrer täglichen Arbeit wie das Wasser zum Schiff. Und jetzt die Frage, ob der junge Organist erzählen dürfe, was geschehen war.
    Vielleicht sollte ich meine Skepsis bezüglich des menschlichen Charakters doch revidieren, überlegte er, nicht ganz so schwarz sehen, wie ich es mir dank meines Berufes in den letzten Jahren angewöhnt habe. Aber bedeutete das nicht eine naive Verbrämung der Realität? Wolfgang Reck – er musste sich den Namen merken – war eine Ausnahme, die vor Neugier tollwütigen Gesichter die Realität, das erwies sein beruflicher Alltag ständig aufs Neue.
    Die Eingangstür am Ende der Kirche wurde geöffnet, Katrin Neundorf trat ins Innere. Braig ging ihr entgegen, begrüßte sie, freute sich über ihre Hilfe.
    »Du hast Johannes versorgen können?«, fragte er.
    Ihr Sohn war erst wenige Monate alt, er erinnerte sich nicht mehr an das genaue Geburtsdatum, wusste nur noch, dass er im vergangenen Winter ein paar Wochen nach Weihnachten auf die Welt gekommen war. Neundorf, eine der fähigsten Kommissarinnen des LKA, hatte nach Beendigung des Mutterschaftsurlaubs im Frühjahr ihren Dienst wieder aufgenommen.
    »Meine Mutter. Zum Glück ist sie zur Zeit gut drauf, so war sie sofort einverstanden. Ich war am Freitagabend mit ihr im Theater, Premiere, sie träumt immer noch davon. Das hält eine Weile vor.«
    »Das freut mich für dich. Interessantes Stück?« Braig fragte mehr aus Höflichkeit als aus Interesse, weil er kein großer Theaterbesucher war.
    »Eine der besten Inszenierungen, die ich je erlebte. ›Das Fräulein Pollinger‹.«
    »Wie bitte?« Seine Frage hallte laut durch die Kirche.

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