Schwaben-Angst
massierte seine Schläfen. Hinter ihm blubberte die Kaffeemaschine.
Am Schreibtisch schaltete er den Computer ein, holte sich die Telefonnummer des Südwestrundfunks. Es dauerte mehrere Minuten, bis er endlich die Mitarbeiterin erreichte, die für die Betreuung freier Künstler zuständig war. Braig stellte sich und sein Anliegen vor, bat um die Adresse von Katja Dorn. Er hörte, wie die Frau seinen Wunsch in den Computer eingab, hatte dann wieder ihre Stimme am Ohr: »Es tut mir Leid. Die Adresse von Frau Dorn haben wir nicht. Ich kann Ihnen nur die Anschrift ihrer Agentin mitteilen. Ich faxe sie Ihnen zu. Einverstanden?«
Braig bedankte sich, gab ihr seine Nummer. Eine Minute später perlte das Papier aus dem Gerät. Er nahm es zur Hand, las die Information.
Anne vom Stein, Künstler-Agentur
Schwarzburgstraße 24
60318 Frankfurt am Main
Braig begab sich zur Kaffeemaschine, schenkte sich ein. Als er aufsah, stand Neundorf im Zimmer.
»Auch schon da?«
Er nickte.
»Ich lief Rössle über den Weg.« Sie trug eine sportliche, dunkelrote Jacke, dazu dunkelgrüne Jeans. »Er zeigte mir Fotos von dem Toten.«
Braig sah an ihrem Gesichtsausdruck, dass sie den außergewöhnlich entstellten Zustand der Leiche voll wahrgenommen hatte.
»Wir sind zum Erfolg verdammt«, sagte sie, »lange darf das nicht mehr weitergehen.«
Er nickte, trank in kleinen Schlucken, deutete auf die Tasse.
Neundorf schüttelte den Kopf. »Ich habe schon, danke. Wie weit bist du gekommen?«
Braig referierte seine Gespräche mit Klara Berg und der Sekretärin des Toten, erwähnte die Durchsuchung von Fehrs Wohnung. Er griff in seine Jacke, zog das Foto von Katja Dorn vor, zeigte es seiner Kollegin. »Ich habe beim SWR angerufen und die Adresse der Agentin erhalten, die sie betreut. Ich hoffe, wir erreichen sie so.«
»Wir brauchen die Frau. Sie ist wahrscheinlich die schnellste Verbindung zu diesem Herbert Bauer.«
Braig stimmte ihr zu, erkundigte sich nach ihrer Arbeit. »Und? Wie sieht es bei dir aus?«
»Becksteins Überwachung scheint zu klappen. Er war gestern Abend noch kurz in einer Kneipe nicht weit von seiner Wohnung entfernt, scheint dort aber keine persönlichen Gespräche geführt zu haben. Ein schweigsames Bier, wie der Kollege beobachtete. Heute ging er ganz normal zur Arbeit.«
»Vielleicht hat er doch nichts mit der Sache zu tun.«
»Keine Ahnung«, sagte sie, »frag mich was Leichteres. Marion Böhler dagegen hat kein Alibi. Sie war gestern Abend allein zu Hause.«
»Verdammt. Es müsste doch einen Kontakt zwischen ihr und diesem Bauer geben?«
»Ich habe sie gefragt. Sie konnte mit dem Namen nichts anfangen. Behauptete sie jedenfalls.« Neundorf trat an Braigs Schreibtisch, schob einen Packen Papiere zur Seite, setzte sich.
»Steckt die Frau nicht doch irgendwie mit drin?«
»Wir werden es herausfinden«, erklärte sie, »es ist nur eine Frage der Zeit.«
»Du warst bei dem Mann – wie heißt er doch gleich – von der Liste?«
»Stefan Zierz.« Neundorf nickte. »Der Prototyp des erfolgreichen Unternehmers. Er heiratete in ein Textilgeschäft ein, krempelte den Laden von gediegener Damen- und Herrenbekleidung auf peppig-fetzige Jugendmode um, wie er mir erzählte, und beglückt jetzt alle paar Wochen immer mehr Städte mit seinen ultramodernen Shops. Wer immer sich jung und voller Lebensfreude fühle, gehe in seinen ›Shopping-Centers‹ aus und ein, meinte er, die seien nichts für Omas und Opas. Konrad Böhler und Bernhard Hemmer waren ihm genauso unbekannt wie ein Dieter Fehr. Nie gehört, keinerlei Kontakt. Von Drohbriefen keine Spur.«
»Du glaubst ihm?«
»Weshalb nicht?«
»Warum steht er dann auf der Liste?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Neundorf.
»Hast du ihm die anderen Namen der Liste genannt? Die Männer, die noch leben, meine ich.«
»Er kennt sie nicht. Keinen einzigen davon. Es ist zum Verrücktwerden, aber es gibt angeblich keine Gemeinsamkeiten zwischen all diesen Personen, irgendetwas, das sie verbindet. Das kann doch nicht sein!«
»Der rote Faden«, meinte Braig, »das Element, dessentwegen sie ins Visier des Mörders gerieten.«
»Genau. Es muss ihn aber geben, oder?«
Wir sind blind, überlegte er, wir sind nicht fähig zu begreifen, dass all diese Männer etwas gemeinsam haben, das sie im Moment aufs Äußerste gefährdet. Vorausgesetzt, bei dem Papier handelt es sich tatsächlich um so etwas wie eine Todesliste. Aber durften sie daran noch zweifeln?
»Wir müssen
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