Schwaben-Angst
in meiner Gegenwart besser nicht mehr erwähnen.«
Braig sah die verwinkelt in die Höhe ragenden Arme und Beine, die aufgequollenen Backen, die intensiv rosa leuchtende Haut am Kinn, als läge der Mann hier vor ihm.
»Ohne dieses Scheusal würde meine Tochter heute noch leben.«
Der Tonfall ihrer Stimme riss ihn endgültig aus seinem Albtraum.
Klara Berg hatte sich vollkommen verändert. Hoch aufgerichtet, mit durchgedrückter Wirbelsäule saß sie auf ihrem Stuhl. Das Gesicht dunkelrot angelaufen, warf sie ihm einen finsteren Blick zu. Aus ihren Augen sprach der reine Hass.
Überrascht betrachtete er die Frau. »Dieter Fehr?«
Sie gab keine Antwort, starrte ihn voller Verachtung an.
»Der Mann ist tot«, fügte er hinzu, »er wurde ermordet.«
Wieder änderte sich ihre Haltung im Bruchteil einer Sekunde. Ihr Körper schnellte nach vorn, drohte vom Stuhl zu fallen, ihre Augen schienen ihn zu durchbohren. Sie bewegte ihre Lippen, hatte keine Kraft, ihnen einen Laut zu entlocken, stand vollkommen im Bann des unverhofften Ereignisses.
»Heute Nacht«, sagte Braig, »hier in Tübingen.«
Sie benötigte einige Sekunden, um aus ihrer Erstarrung zu finden, begann lautlos zu lachen, nahm langsam wieder eine normale Sitzhaltung an.
»Endlich eine erfreuliche Botschaft.« Ihre Stimme klang hart und kalt, hatte jede Emotion verloren.
»Er scheint Ihnen nicht sympathisch gewesen zu sein«, bohrte Braig vorsichtig. Er musste versuchen, eine Erklärung für ihr seltsames Verhalten zu finden.
»Weiß Gott nicht, nein.« Sie schaute ihm voll in die Augen. »Gibt es doch noch Gerechtigkeit auf dieser Welt?«
Er hütete sich, ihre Worte zu kommentieren, wollte die Frau nicht gegen sich aufbringen, weil er sich Informationen über den Toten erhoffte. Sie vor den Kopf zu stoßen, drohte ihre Bereitschaft zu weiteren Auskünften von vornherein zu blockieren.
Klara Berg wusste genau, weshalb er schwieg. »Sie möchten wissen, wieso ich so eiskalt und gefühllos über einen Menschen rede, stimmt’s?«
Er nickte wortlos.
»Wie kommt die Alte dazu, so respektloses Zeug zu quatschen?«
»Das haben Sie formuliert.«
»Meine Tochter hatte sich über Jahre hinweg in mühsamer Arbeit ein eigenes Unternehmen aufgebaut«, fing sie unvermittelt an, »Spedition, Kurierdienst, Frachtzustellung. Vor allem hier im Südwesten, teilweise aber in ganz Deutschland, manchmal sogar im Ausland. Es war kein Honigschlecken, zu keinem Zeitpunkt, aber die Sache lief. Und sie gedieh. Immer besser. Von Jahr zu Jahr. Beate machte es zudem Spaß. Das war das Wichtigste. Obwohl es zuweilen richtig zur Schinderei wurde, machte es ihr Spaß. Sie engagierte sich mit Leib und Seele. Es war ihr Leben, ganz einfach ihr Leben.«
Die Frau schwieg einen Moment, holte tief Luft. Die Nachricht vom Tod Fehrs schien sie intensiver berührt zu haben, als Braig zuerst gedacht hatte.
»Dann lernte sie
ihn
kennen.« Sie brauchte den Namen nicht auszusprechen. Schon wie sie die drei Buchstaben betonte, machte alles klar.
»Sie zogen zusammen; er war drei Jahre älter als sie. Es ging schnell, sehr schnell. Als Mitarbeiter von Larch war er sozusagen Konkurrent. Statt ihr Unternehmen weiterzuführen und auszubauen, gab sie es einfach auf. Von heute auf morgen. Larch benötigte dringend tüchtige Zusteller. Beate nahm die Stelle an. Wer ihre Kunden bekam, muss ich wohl nicht erwähnen.«
»Larch.«
»
Er
«, korrigierte sie ihn, »
er
brachte sie in die Firma ein. Sechs Monate später war
er
Geschäftsführer. Wissen Sie, was eine über Jahre hinweg aufgebaute und sorgsam gepflegte Kundenkartei wert ist?«
Braig nickte. Zufriedene Kunden waren für ein Unternehmen dieser Branche das A und O, die Grundlage einer gesicherten Existenz.
»Wie er sie dazu brachte, alles aufzugeben – ich weiß es nicht. Glücklich war sie nie. Er betrog sie nach Strich und Faden, alle paar Monate mit einer anderen Frau. In der Firma war Beate eine von vielen, obwohl sie unermüdlich rackerte. Trotzdem blieb sie bei ihm.« Klara Berg erhob sich von ihrem Stuhl, trat zur Wand, deutete auf eines der Fotos. »Hier steht sie in ihrer Uniform.« Sie nahm das Bild ab, reichte es ihm.
Braig erkannte die Frau trotz ihrer gelb-grünen Montur. Das Foto zeigte sie etwa im gleichen Alter wie die gemeinsame Aufnahme mit Katja Dorn. Sie hielt ein größeres Paket in ihren Armen, lächelte freundlich in die Kamera.
»Vor zwei Jahren ungefähr verabschiedete er sich aus der gemeinsamen Wohnung,
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