Schwaben-Filz
Friederichsens Stimme klang erbost und gereizt. »Wir sind durch. Komplett, die ganze Hallig. Da ist kein Ruppich!«
»Wie bitte?«
»Kein Ruppich, kein Henfle. Niemand, auf den die Beschreibung, die Sie uns gemailt haben, passen könnte.«
»Das heißt, der Kerl ist abgehauen?«
»Jau, wann denn? Wir haben alles überwacht.«
»Sie haben doch selbst gesagt, die Insel ist groß und der Seegang sehr ruhig. Gibt es keine Möglichkeit, das Wasser um Langeness abzusuchen?«
»Tun wir doch, was glauben Sie denn? Die Küstenwache fährt alles ab. Die untersuchen jeden Winkel. Vielleicht haben wir Glück, und die erwischen ihn draußen, okay. Wir warten jetzt auf die neue Ortung.«
»Wann war die Letzte?«
»19.30 Uhr. Da war er noch auf der Insel.«
»Und dass sich der Kerl irgendwo anders versteckt? In einem Schuppen, einem leerstehenden Gebäude, vielleicht auch in einem Schiff am Ufer?«
»Jau, das ist natürlich möglich. Aber wir klappern alles ab, keine Angst. Und wenn wir die ganze Nacht dafür benötigen.«
Braig bedankte sich für das Engagement des Kollegen, fühlte sich kraftlos und verbraucht. Auf alles war er gefasst gewesen, nur nicht darauf, dass auch der Einsatz heute Abend fehlschlagen könnte. Er hatte sich felsenfest darauf verlassen, dass es endlich gelingen würde, Ruppich festzunehmen und seinem mörderischen Wüten ein für allemal ein Ende zu setzen. Grobe, Robel, Henfle – es musste doch möglich sein, den Verbrecher zur Rechenschaft zu ziehen und seinem Wahn nach Rache und lebenszerstörender Gewalt nicht noch mehr Menschen zum Opfer fallen zu lassen. Ein Teil der Medien klotzte diese nachvollziehbare Forderung seit Tagen auf ihre Titel. Beileibe nicht nur die üblichen widerlichen Boulevard-Schmierer, wie Braig selbst gesehen und gelesen hatte, nein, auch nachdenkliche, ihrem Berufsethos kritischkonstruktiver Aufklärung verpflichtete Journalistinnen und Journalisten ergingen sich mehr und mehr in besorgten Überlegungen über die Hintergründe des fehlenden Erfolgs der sonst so zielstrebigen Ermittler. Er hatte in den letzten Tagen mehrfach mit einigen von ihnen telefoniert, sie persönlich – zumindest annäherungsweise – über die Schwierigkeiten ihrer Arbeit informiert.
Umso mehr war jetzt die Hoffnung auf den großen Befreiungsschlag in ihm gewachsen, auf die Nachricht, dass es, wenn schon nicht hier in der unmittelbaren Umgebung seines Wütens, so doch wenigstens in der Einsamkeit des nordfriesischen Wattenmeers gelingen würde, Ruppich festzunehmen. Aber, wie es schien, sollte der Verbrecher auch diesmal wieder …
Das Läuten des Telefons riss Braig aus seinen trübseligen Grübeleien. Müde und abgekämpft, wie er war, ließ er den Signalton drei Mal erschallen, bis er die Hand endlich am Hörer hatte.
»Jau, und ich dachte schon, Sie liegen im Bett und träumen von unserem Verbrecher.« Friederichsens Stimme war nicht zu entnehmen, welchen Inhalt seine Botschaft hatte.
»Sie haben ihn?«, fragte Braig.
»Ihn? Mann, Mann, Sie sind gut!«
»Ja oder nein?«
»Jau, das Handy. Wir haben es.«
»Das Handy?«
»Sag ich doch, jau.«
»Und Ruppich?«
»Der steckt wahrscheinlich bei euch im Süden.«
»Wie bitte?«
»Jau, das Handy kam per Post. Der Briefträger brachte es heute mit seiner Lore über den Deich. Adressiert an Frauke Tadix. Nur dass die gute Oma überhaupt nicht weiß, was das soll. Sie ist nämlich schon 83 und hat mit Handys und solchem neumodischen Kram nix an der Backe. Deshalb ließ sie die Sendung einfach liegen und wartete, bis ihr Nachbar vorhin zu ihr kam. Dem zeigte sie das Ding, und der dachte sofort an uns. Jau, das war’s. Einen Absender gibt es nämlich nicht. Nur den Poststempel. Und den kann man kaum erkennen. Irgendwas mit ’ner Sieben vorne. Dürfte bei euch unten sein, oder?«
33. Kapitel
Das Läuten des Telefons riss Braig mitten in der Nacht aus dem Schlaf. Er benötigte mehrere Sekunden, zu sich zu kommen, suchte benommen nach dem Gerät. Das Handy vibrierte und ächzte in einem fort, zwang ihn dazu, sich aufzurichten und den Boden neben dem Bett nach der Lärmquelle abzutasten. Ausgerechnet in dieser Nacht mussten sie ihm die Ruhe rauben, wo er doch erst spät am Abend aus dem Büro gekommen war.
Ann-Katrin wälzte sich neben ihm laut stöhnend zur Seite. Er beeilte sich, an das Gerät zu gelangen und es mit seiner rechten Hand zum Schweigen zu bringen. Bis er es endlich ans Ohr bugsiert hatte, waren weitere Sekunden
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