Schwaben-Filz
Kirche, verlangsamte ihre Fahrt. Am Rand einer schmalen, freien Fläche kam sie zum Stehen. Er sah die Umrisse einer Gruppe junger Leute, die in die Stadtbahn drängten, überlegte, dass es sich wohl um den Bihlplatz handelte. »Warum gab es an diesem Abend keine Mädchen?«, fragte er. Er betonte das letzte Wort, verlieh ihm einen leicht anzüglichen Ton.
»Moment, warum?« Robel hob beide Hände abwehrend in die Höhe. »Neuber«, sagte er dann. »Bei dem läuft das nicht.«
»Wieso? Ist er …?« Braig ließ die Frage offen, bemerkte am gequälten Gesichtsausdruck seines Gastgebers, dass er ihn genau verstand.
»Nein«, antwortete Robel. »Neuber will das nicht. Ich glaube, der hat Angst, dass seine Frau …«
»Dass sie sich das nicht bieten lässt, wenn sie erfährt, dass ihr Mann mit Nutten …«
»Moment, also ich kann Ihnen nur sagen, dass das mit Neuber nicht läuft. Das weiß jeder. Ein Geschäft auf diese Tour anzubahnen, können Sie bei ihm vergessen.«
»Um welches Geschäft ging es an jenem Abend?«
»Den Bau einer neuen Straße in Oberweihingen.«
»Ich nehme an, Grobe hatte die notwendigen Grundstücke dazu gekauft«, überlegte Braig. »Ruppich wollte bauen, und Sie waren für die Finanzierung verantwortlich. Was hat Neuber mit der Sache zu tun?«
»Na ja, ohne ihn lief überhaupt nichts. Seine Leute haben die Mehrheit im Gemeinderat und er ist ihr Vorsitzender.«
»Und? Was wollte er anstatt der Mädchen?«
»Was wohl?« Robel musterte seinen Gesprächspartner mit süffisantem Grinsen. »Das wollen Sie doch nicht wirklich wissen.« Er rieb den Daumen und den Zeigefinger seiner rechten Hand aneinander, lachte schallend.
Die Stadtbahn im Tal hatte sich längst wieder in Bewegung gesetzt, war im dichten Gewirr der Häuser verschwunden.
»Die Ausgaben für die Mädchen haben Sie damals immerhin gespart.«
»Neuber zuliebe, ja. Auf den Spaß haben wir an dem Abend eben verzichtet.«
Nur Ruppich nicht, überlegte Braig. Der war nicht bereit gewesen, auf diesen Spaß zu verzichten. Wirklich nur Ruppich? »Warum trachtet Ruppich Ihnen nach dem Leben?«, fragte er.
»Moment. Sie sprechen von mir?« Robel starrte ihn mit großen Augen an.
»Sie haben doch in den Nachrichten gehört, was mit Grobe passiert ist.«
»Ruppich ist der Täter?«
»Alles spricht dafür, ja.«
Robel schüttelte den Kopf. »Aber, aber …«
»Wir haben deutliche Hinweise, dass Sie als Nächster an der Reihe sind.«
»Moment. Was reden Sie da?« Die Stimme des Mannes drohte sich zu überschlagen. Er sprang von seinem Sessel in die Höhe, baute sich breitbeinig vor seinem Gesprächspartner auf. »Aber weshalb denn, wieso?« Eine kräftig pulsierende Ader wölbte sich quer über seine rechte Schläfe.
»Das würde ich gerne von Ihnen wissen«, antwortete Braig.
13. Kapitel
Neundorf war an diesem Freitagmorgen erst vor wenigen Minuten in ihrem Büro eingetroffen, als der Anruf einer Frau Dr. Welser zu ihr durchgestellt wurde. Sie hatte zwar schon zwei Tassen kräftigen, schwarzen Kaffee getrunken und ein Brot mit dem würzig duftenden Honig ihrer Freundin genossen, fühlte sich dennoch müde und noch lange nicht im neuen Tag angekommen.
»Hooligan-Honig, der aktiviert besonders intensiv«, hatte Vera Schöllner geäußert, als sie ihr das Glas mit dem goldgelben Extrakt ihrer eigenen Bienenvölker geschenkt hatte.
»Hooligan-Honig?«
»Das aggressivste von meinen Völkern. Die stechen sehr schnell.«
»Die gibt es auch unter Bienen? Und ich dachte, ich sei die Einzige, die beruflich mit dieser Klientel zu tun hat«, hatte sie gescherzt.
Ihren Sohn Johannes an diesem Morgen aus dem Bett zu bewegen und ihn mittels Kamm, Wasser, Duschgel und frischer Kleidung in einen halbwegs ausgehfähigen Zustand zu versetzen, hatte mehr Kraft und Nerven gekostet, als der Hooligan-Honig ihr zu so früher Stunde hatte vermitteln können. Sie hatte versucht, ihm ein halbes Brot mit Schokoladenaufstrich und ein Glas Milch einzuflößen, hatte dann nach den fast über die gesamte Wohnung verstreuten Heften und Büchern Ausschau gehalten und sie in seinem Schulrucksack verstaut. Ihre lauthals geäußerte Bemerkung: »Wieso ist mein Sohn ein solcher Riesenschlamper?«, zu späterer Tageszeit oft Ursache heftiger Auseinandersetzungen, war auf keinerlei Resonanz gestoßen. Dem Sprössling ein mit Käse belegtes Brötchen mitzugeben, war erst nach minutenlangem, mürrischem Gemotze gelungen. Zwölf Minuten vor Schulbeginn – exakt
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