Schwaben-Filz
Verstehen Sie jetzt meine Verbitterung?«
16. Kapitel
Gerald Robel war im Keller seines Hauses ermordet worden. »Zwei Schüsse aus nächster Nähe. Von einer Person abgefeuert, die vor ihm stand. Vor mindestens zehn, zwölf Stunden. Hier im Weinkeller«, erklärte Dr. Holger Schäffler. Der Gerichtsmediziner kniete über der Leiche, sah zu seinem Gesprächspartner auf. Zwei von den Spurensicherern an den Seiten aufgebaute Strahler tauchten den Raum in ein grelles Licht.
Braig hatte keine Chance, ins Innere zu gelangen. Er stand unmittelbar neben der geöffneten Tür, spürte Rössles Hand an seiner Schulter.
»Wenn jedes Rindvieh do sei Duftmarke setzt, brauchet mir os gar koi Müh mehr zu mache. So viele Idiote wie in dem Keller scho romdappt send, gibt’s in ganz Sindelfinge net.«
Der Kommissar verharrte auf der Stelle, hatte den intensiven Geruch alten Weins in der Nase. Fast der gesamte, mit dicken Pflastersteinen befestigte Boden war von einer zähen alkoholgesättigten Flüssigkeit bedeckt. Robels Leiche lag im rückwärtigen Teil des Raums, unmittelbar vor das bis zur Decke reichende, zu etwa zwei Dritteln gefüllte, mächtige Weinregal hingestreckt. Unzählige Abdrücke verschiedener Schuhe waren im Morast zu erkennen.
»Eine der beiden Kugeln trat hinten aus dem Körper aus und durchschlug dann auch noch die Flaschen dort.« Dr. Schäffler deutete auf die Rückwand des Raums, wo Dr. Dolde mit der Untersuchung des Weinregals beschäftigt war.
»Sie steckt in der Wand«, ergänzte der Spurensicherer, »gib mir zwanzig Minuten, dann haben wir sie.«
Zwei Schüsse aus nächster Nähe, überlegte Braig, von vorne abgefeuert. Genau wie in Hohenheim. »Vor mindestens zehn, zwölf Stunden?«, fragte er.
Der Gerichtsmediziner war sich sicher. »Gestern Abend, ja. Daran habe ich überhaupt keinen Zweifel. Hier im Keller hat es drei oder vier Grad. Die Tür war zu, wie der Kollege, der ihn entdeckte, berichtete. Der Verwesungsprozess ist also noch nicht weit gediehen. Zehn, zwölf Stunden, ja.«
Braig warf einen Blick auf seine Uhr. Halb zehn am Morgen. »Gestern Abend gegen 22, 23 Uhr?«, hakte er nach.
»Oder noch früher«, bestätigte Dr. Schäffler.
Der alte Bekannte, überlegte der Kommissar, wann hatte er das Haus verlassen? Er blätterte seine Unterlagen durch, entdeckte die Notizen des das Haus überwachenden Beamten.
20.10 Uhr: Angekündigter Bekannter wird von Herrn Robel empfangen. 20.55 Uhr: Der Bekannte verlässt das Haus wieder
.
Keine weiteren Beobachtungen, nicht eine einzige Person, die in den folgenden Stunden im Bereich des Eingangs von Robels Haus beobachtet wurde. Hatte der Kollege geschlafen? Oder war der Täter auf andere Weise ins Haus gelangt?
»Was ist mit den Fenstern in den übrigen Räumen? Habt ihr sie schon auf Einbruchsspuren überprüft?«, fragte er.
Rössle, der auf Zehenspitzen zu dem Toten gestakst war und den Boden in der unmittelbaren Umgebung des Mannes untersuchte, sah kurz auf. »Mei erste Sach, aber nur im Schnelldurchlauf. Alles in Ordnung, soweit i des überprüft han. I müsst mi schwer täusche, wenn i do was übersehe hätt.«
»Und das Türschloss? Was ist mit dem?«
»In Ordnung. Des han i zuerst aguckt. Koi Angst, der Kollege hat net gschlafe.«
Braig musterte erneut die Notizen des Beamten.
20.10 Uhr: Angekündigter Bekannter wird von Herrn Robel empfangen. 20.55 Uhr: Der Bekannte verlässt das Haus wieder
.
45 Minuten, überlegte er, nicht einmal eine einzige Stunde. Was hatte Robel ihm erzählt?
Meine Frau ist weg. Sturmfreie Bude. Ein alter Kumpel kommt. Zu einem Kirschwasser und ein paar Bier. Oder umgekehrt
…
Ein Kirschwasser und ein paar Bier in 45 Minuten? Nein, das war unmöglich. Nicht, wenn es sich um das Treffen zweier alter Bekannter handelte. Zweier alter Bekannter, die die sturmfreie Bude zu nutzen gedachten, den Konsum des Hoch- und weniger Prozentigen und den Austausch von Erinnerungen in Ruhe zu genießen planten. Was war da schiefgelaufen?
»Alle Idiote von Sindelfinge, do hent mr den Salat«, platzte Rössle mitten in seine Gedanken.
Braig schaute auf, sah den Spurensicherer auf ein kleines Papier starren, das er mit spitzen Fingern vor sich in die Höhe hielt.
»Jetzt isch die Kacke voll am Dampfe«, brummte der Kollege. Er zog eine kleine durchsichtige Kunststoffkladde aus seiner Tasche, schob das Papier in die Hülle, verschloss sie vorsichtig. »Des han i unter dem seinere Jacke entdeckt.«
Braig ahnte, um was es
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