Schwaben-Filz
um jede verdächtige Bewegung sofort wahrzunehmen, hatte der Täter sein Opfer in den reichbestückten Weinkeller mit seiner optimalen Lärmisolierung gezwungen und ihn dort kaltblütig ermordet. Und buchstäblich unter der Beobachtung der Polizei war er dann wieder gegangen.
Braig schnappte nach Luft, als ihm klar wurde, wie die Tat wohl abgelaufen war. Sie hatten sich vorführen lassen wie naive Anfänger. Der auf Hochtouren laufende Polizeiapparat war ausgetrickst worden, als würde er von dämlichen Dilettanten geführt. Wenn erst die Öffentlichkeit von den genauen Begleitumständen dieses Verbrechens erfuhr …
Wie Weihnachten und Ostern zugleich musste dieser Tag der Boulevard-Journaille vorkommen.
17. Kapitel
Das Areal um Meike Kleemanns Haus in der Weingärtner Vorstadt in Waiblingen war Neundorf sofort bekannt vorgekommen. »Menschenskind, hier haben wir doch während des Altstadtfestes schon halbe Nächte verbracht«, erinnerte sie sich, kaum dass sie das kleine Gebäude unmittelbar an der Stadtmauer erreicht hatte. »Hatten nicht die Spanier und die Serben hier in der Nähe ihre Stände?«
Das drei Tage von Freitag bis Sonntag währende Fest in den lauschigen Gassen und Plätzen der stimmungsvollen Waiblinger Altstadt war einer der angesagtesten Termine der gesamten Umgebung. Tausende von Besuchern tummelten sich Jahr für Jahr Ende Juni in der mittelalterlich anmutenden Szenerie des städtebaulichen Juwels der Stadt an der Rems, lauschten den musikalischen Darbietungen unzähliger Bands und Kapellen und genossen die kulinarischen Angebote der verschiedensten Vereine. Wann immer Neundorf und ihr Partner es einrichten konnten, genehmigten sie sich eine kurze berufliche Auszeit, um das besondere Flair dieser Tage wahrzunehmen.
»Verehrte Frau Kommissarin, Ihre Gedanken an leckere Cevapcici, Slivovitz und Paella in Ehren, aber im Moment sind die etwas fehl am Platz«, frotzelte Schöffler, der gemeinsam mit Rauleder seit mehreren Stunden mit der Durchsuchung der über zwei Stockwerke verteilten Räume beschäftigt war. »Wir erbitten Ihre Aufmerksamkeit für viele, viele Mails, Briefe und Fotos.« Er deutete auf einen Berg an Papieren und Kuverts, die sie auf dem rechteckigen Glastisch im Wohnzimmer der Ermordeten aufgehäuft hatten. »Wir schreiben übrigens Anfang November und nicht Juni oder Juli, wenn ich darauf hinweisen darf.«
Nach dem Gespräch mit Hellner hatte Neundorf zu Hause einen von Thomas Weiss vorbereiteten griechischen Salat mit vielen Oliven genossen. Die Worte des Mannes waren ihr nicht aus dem Kopf gegangen. Mit einer Überarbeitung des Kopfbahnhofs ließen sich fast genauso viele Flächen für den Städtebau freistellen wie mit dem unterirdischen Murks, hatte er betont, nur für weit weniger Geld. Es dürfe nicht länger einfach so hingenommen werden, wie skrupellos diese Leute Steuermilliarden für ihre Zwecke missbrauchten. Und dann hatte er noch etwas erwähnt, was sie endgültig aufhorchen ließ.
»Eine Sache aber ist jetzt schon klar: Der alte Bahnhof wird mit einem großen Teil seiner Zufahrten bestehen bleiben, gleich ob gebaut wird oder nicht. Private Bahnen werden nämlich gegen den Abriss der alten Anlagen klagen, weil sie mit ihren Dieselloks die neuen Tunnel nicht befahren können. Und sie werden gewinnen. Bisher wurden nämlich alle Prozesse, bei denen Bahninfrastruktur einfach aufgegeben werden sollte, bis in die letzte Instanz gewonnen. Deshalb werden sie nie mehr Flächen für den Städtebau freistellen können wie mit einer Überarbeitung des Kopfbahnhofs. Nur wird das dann viele Milliarden mehr erfordern.«
Sie hatte sich mit ihrem Partner darüber unterhalten, anschließend dann mit Frau Dr. Welser telefoniert und sie auf weitere Personen oder Beobachtungen befragt, die ihrer Auffassung nach in irgendeiner Weise im Zusammenhang mit der Gewalttat an ihrer Kollegin stehen konnten.
»Wissen Sie, was Sie da von mir verlangen?«, hatte die Ärztin erklärt. »Ich soll Ihnen Leute aus unserem Patienten- und Bekanntenkreis nennen, denen ich zutraue, Meike …« Mitten im Satz war sie verstummt und in ein lang anhaltendes Schluchzen verfallen.
Neundorf war die Situation nur allzu bekannt, hatte sie doch oft genug damit zu tun, Menschen aus dem Umfeld eines Verbrechensopfers auf ihre Beobachtungen zu befragen, die mit der jeweiligen Tat zu tun haben konnten. »Ein böses Wort, Wut, Enttäuschungen, Drohungen, Verletzungen«, hatte sie zu helfen versucht, »gab es
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