Schwaben-Freunde: Kommissar Braigs 16. Fall (Schwaben-Krimi) (German Edition)
mit Kühen und Schweinen oder Pferden?«
»Wir wollen nicht schlachten«, antwortete Lieb. »Ich weiß, das klingt reichlich naiv. Aber bisher haben wir es geschafft. Wir schlachten nur im Ausnahmefall, wenn wir das Geld dringend brauchen. Deshalb verzichten wir auf Kühe und Schweine. Pferde haben wir. Zwei Tiere. Meine Schwester kümmert sich um sie. Wir betreiben Demeterlandbau mit Sonderkulturen und vermarkten alles selbst. Dazu verkaufen wir frische Backwaren und die Eier. Hier in unserem Hofladen und auf dem Markt in Aalen, Heidenheim und Ulm. Meine Schwester und ihr Freund sind beide Bäcker, sehr gute Bäcker. Wir verarbeiten eigenes Korn und die Früchte aus unseren Gärten. Und dann vermieten wir noch Ferienwohnungen. Dort.« Er zeigte auf ein mit roten Ziegeln gedecktes Dach, das hinter dem Stall hervorragte. »Die meisten Tiere halten wir eher für die Kinder der Feriengäste als für uns. Schafe, Enten, Gänse, eigentlich auch die Pferde. Aber es macht Spaß. Meistens.«
»Wenn sie euch nicht gerade eure Hühner stehlen.«
»Das ist kein Spaß mehr, nein. Aber wir hoffen auf den neuen Hund. Er stammt aus dem Wurf von Freunden. Der scheint nicht so lasch wie unsere Jackie.«
»Er ist noch jung?«
»Ein Frühjahrstier. Vier Monate alt«, bestätigte Lieb. »Ein Rottweiler-Mischling. Wenn wir ihn entsprechend ziehen, wird er sich Fremden gegenüber aggressiver verhalten als Jackie. Wir müssen ihn nur daran gewöhnen, dass er unsere Feriengäste akzeptiert.«
»Du glaubst, das lässt sich so bewerkstelligen?«
»Im Normalfall immer. Tiere verhalten sich auch in der Beziehung genau wie Menschen. Solange sie jung sind, lassen sie sich formen. Eltern und Lehrer nennen das Erziehung.«
»Deine Schafe ebenfalls?« Sie wies auf die winzige Kreatur in seinem Arm.
»Die jungen Tiere alle. Ältere nicht mehr. Aber ist das bei uns so viel anders?«
Eine große, getigerte Katze kam langsam quer über den Hof geradewegs auf ihre Bank zu. Claudia Steib sah, wie sich das Tier an das linke Bein des Mannes drückte, dann Anlauf nahm und ihm auf den Schoß sprang.
»Hallo, Marga.« Lieb begrüßte die Katze, kraulte mit seiner freien Hand ihr Fell. Sie schnupperte an dem jungen Schaf, legte sich dann rücklings auf seinen Schoß, streckte alle viere von sich. Ihr lautes Schnurren war deutlich zu hören.
»Marga?«, erkundigte sich Claudia Steib. »Haben alle deine Tiere einen Namen?«
»Meine Schwester war fertig mit Backen. Sie hatte vergessen, die Margarine in den Kühlschrank zu stellen. Sie lief in den Laden, weil ein Kunde läutete. Als sie zurückkam, fand sie ein kleines Wollknäuel mit weiß verklebter Schnute. Das war so vor zwei Jahren ungefähr, Marga erst ein paar Monate alt. Seither hat sie den Namen.«
»Und die anderen Tiere?«
»Wir leben mit ihnen, jeden Tag. Da baust du automatisch eine persönliche Beziehung auf. Jedes Tier hat seine Eigenarten, seinen unverwechselbaren Charakter. Ob Katze oder Schaf, sie alle sind individuelle Persönlichkeiten genau wie wir Menschen.«
»Mein Gott«, sagte sie. »Das klingt idyllisch. Wie aus einer anderen Welt. Normalerweise gelten Tiere doch als Existenzen zweiter Klasse, als minderwertige Kreaturen, die man behandeln kann wie Objekte. Das lernst du doch schon in der Schule. Wir Menschen, wird behauptet, handeln nach rationalen Überlegungen, Tiere nur nach Instinkt. Wir haben eine Seele, Tiere dagegen …«
»
Normal
, was heißt
normal
. Diese Vorstellungen stammen von Leuten, die Tiere nur aus der Ferne kennen. Ich lebe mit ihnen, seit frühester Kindheit. Tiere sind für mich keine Objekte.«
»Du bist hier aufgewachsen?«
Lieb streichelte die Katze, nickte. »Teilweise, ja. Der Hof gehörte meiner Tante und meinem Onkel. Sie hatten keine Kinder. Meine Schwester und ich waren fast ständig hier, ich glaube, fast jedes Wochenende und die kompletten Ferien, obwohl meine Eltern in Aalen lebten, mitten in der Stadt. Wir besuchten beide das Schubart-Gymnasium dort. Aber wenn du mich fragst: Aufgewachsen sind wir hier draußen, mit Leib und Seele. Das trifft es am besten.«
»Ihr habt den Hof hier geerbt?«
»Meine Schwester und ich, je zur Hälfte. Wir waren uns von Anfang an einig, dass wir den Hof übernehmen würden, auch wenn du hier oben auf der Alb kaum davon leben kannst. Wir suchten nach einem eigenen Weg, abseits der konventionellen Landwirtschaft. Ohne die Bäckerei wäre es nicht möglich. Aber so funktioniert es. Bis jetzt jedenfalls.
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