Schwaben-Hass
Braig, nachdem er die Frau begrüßt hatte, sah sich nach einer Sitzgelegenheit im Raum um, weil er sich auf gleicher Höhe mit ihr unterhalten wollte.
Luise Möck unternahm keine Bemühung, ihm zu helfen, ließ ihn vor dem Bett stehen, verschwand dann aus dem Raum.
»Mir geht es nicht gut«, jammerte Ilka Breidle, »wissen Sie, morgen ist die Beerdigung und dann …« Sie verstummte, legte ihren Kopf zurück.
»Ich will es kurz machen«, sagte er, wurde aber sofort von ihr unterbrochen.
»Er hat mich dermaßen erniedrigt, Herr Kommissar, verstehen Sie, er hat mich dermaßen erniedrigt.« Sie zog ein Taschentuch unter einer der Decken vor, wischte sich damit über die schweißnasse Stirn. »Ich wusste, dass er andere Frauen hatte, aber so etwas …«
Braig wollte nicht länger aufrecht neben dem Bett stehen.
Er entschuldigte sich laut, lief zum Fenster, nahm einen der beiden Stühle. Ilka Breidle war nervlich angeschlagen, er durfte sie nicht lange strapazieren.
»Morgen ist die Beerdigung, aber was soll ich denn dort?«, fragte sie. »Ich war doch nur eine unter vielen.«
Braig nickte, versuchte, zu seinen Fragen zu kommen. »War Ihr Mann im Ausland?«, fragte er. »In Mazedonien oder im Kosovo?«
»Kosovo?« Sie wusste nicht, was sie antworten sollte. »Wo soll das sein?«
»In Jugoslawien«, antwortete er, »dort, wo der Krieg war.«
»Mein Mann«, jammerte sie, »mein Mann. Wieso reden Sie von meinem Mann?« Sie suchte nach dem Taschentuch, fand es nicht. »Wieso mein Mann? Er hatte doch so viele Frauen, er war doch nicht mein Mann.«
»War er im Kosovo?«, wiederholte er. »Irgendwann in den letzten Jahren?«
Ilka Breidle verstand nicht einmal seine Frage. »Wer war dort?«
»Ihr Mann. Als Journalist?«
Sie schüttelte den Kopf. »Er ist nicht im Ausland. Er ist tot. Morgen ist die Beerdigung.«
Braig spürte, dass er so nicht weiterkam. Er nahm Anlauf zu einem letzten Versuch, wurde von der Stimme an der Tür überrascht.
»Warum lassen Sie sie nicht in Ruhe? Sie sehen doch, dass sie nicht mehr kann!« Luise Möck hatte eine dunkle Weste angezogen, die ihre blonden Haare gut zur Geltung brachte.
Braig schätzte die Frau auf Anfang Fünfzig, wollte einer Konfrontation aus dem Weg gehen.
»Wir wissen nicht, ob Ihr Schwager Beziehungen zum Kosovo oder nach Mazedonien hatte. Wie wir die Sache beurteilen, könnte uns eine Antwort auf diese Frage aber helfen, seinen Mörder zu finden.«
Luise Möck schüttelte den Kopf, wies auf ihre Schwester. »Das hilft ihr jetzt auch nichts mehr. Der Kerl war ein Schwein. Er hat sie von Anfang an nach Strich und Faden betrogen. Ihr Leben ist ruiniert, sehen Sie das nicht?«
»Ich fürchte, Sie haben Recht. Aber ich muss dennoch versuchen, den Mörder Ihres Schwagers zu finden.«
»Warum haben Sie ihr das Zimmer in Esslingen gezeigt? War das wirklich nötig?«
»Sie hat Ihnen davon erzählt?«
»Schauen Sie sie doch an. Seit Samstag liegt sie so da. Seit Sie sie unbedingt in das Zimmer holen mussten.«
Braig wusste nicht, wie er reagieren sollte. Die Frau mochte Recht haben; letzte Woche hatte ihre Schwester einen wesentlich gefassteren Eindruck auf ihn gemacht, wann immer er sie gesehen bzw. mit ihr telefoniert hatte. War es allein das Zimmer, das sie so verwirrt, so in Mitleidenschaft gezogen hatte?
»Wir wussten nicht, dass es sie so treffen würde.«
Luise Möck ließ ein verächtliches Lachen hören. »Sie wussten es nicht?« Sie schüttelte den Kopf. »Sie sind wirklich gut. Haben Sie von Psychologie so wenig Ahnung? Sie führen die Frau in diese Liebeslaube, zeigen ihr die himmelblauen Tapeten, den großen Spiegel und das plüschige Doppelbett und wundern sich ernsthaft, dass sie nicht ausflippt? Und dann lassen Sie zu, dass sie die übrige Einrichtung dieses Rammel-Appartements in Augenschein nimmt, die wunderschöne, von einem Bogen gekrönte Tür, die kleine Einbauküche für das Mahl danach, die Dusche zum Abwaschen aller ausgetauschten Flüssigkeiten und die dicken, in mehreren Lagen aufeinandergetürmten Teppiche für den Fall, dass es vor lauter Eile nicht mehr ins Bett reicht?« Sie stampfte vor Wut mit dem Fuß auf den Boden. »Aber jetzt wundern Sie sich, wie?«
Braig sah die von Hass verzerrte Miene der Frau, spürte, wie es in seinem Kopf arbeitete. War es möglich, dass …?
Er blieb ruhig auf dem Stuhl sitzen, fixierte ihr Gesicht. »Sie scheinen das Zimmer in Esslingen gut zu kennen«, sagte er. »Darf ich fragen, woher?«
Luise
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