Schwaben-Herbst
etwas?« Neundorf musterte die Miene ihrer Gesprächspartnerin, verfolgte genau ihre Reaktion.
Die Frau schien über ein gutes Namensgedächtnis zu verfügen. »Wurde der nicht vor kurzem erst im Zusammenhang mit einem Verbrechen erwähnt?«
»Sie kennen den Mann?«
»Aus den Nachrichten, oder?«
»Herr Grauselmaier hatte nichts mit Sattler zu tun?«
Silvia Bäuerle schüttelte den Kopf. »Nein, wieso? Wie kommen Sie darauf?«
»Wie steht es mit Falk Holdenried?«
Wieder erfolgte die Antwort prompt. »Nie gehört, nein.«
»Wirklich nicht?«
Ein Kopfschütteln: »Nein. Ich habe ein gutes Gedächtnis. Den Namen kenne ich nicht.«
»Aber Herr Grauselmaier kann trotzdem Kontakt zu dem Mann gehabt haben, oder?«
Die Frau wiederholte ihr Kopfschütteln. »In meiner Gegenwart kam der Name nicht zur Sprache. Ich glaube nicht, dass er ihn kennt. Wir sprechen sehr viel miteinander.« Sie erschrak über ihre eigenen im Präsens formulierten Aussagen, verstummte. Eine Träne kullerte über ihre Wange.
»Wer hat ihn bedroht?«, fragte Neundorf. »Ein Politiker dieses Gewichts hat Feinde, das müssen wir doch realistisch sehen, oder?«
Silvia Bäuerle benötigte eine kurze Auszeit, ihr Gesicht zu säubern und wieder ruhig zu werden. Sie schaute an Neundorf vorbei, zu einem imaginären Punkt an der Wand. » Feinde ist ein hartes Wort, finden Sie nicht auch?«
»Aber Realität in diesem Beruf.«
»Man kann es nicht allen recht machen. Beim besten Willen nicht.«
»Eben. Da müssen wir ansetzen. An diesem Punkt und an der Verbindung zu Andreas Sattler.«
»Was wollen Sie ständig mit diesem Mann? Was hat er mit Martins Tod zu tun?«
Neundorf war sich darüber im Klaren, dass sie die genauen Umstände des Verbrechens jetzt zur Sprache bringen musste. Noch hatten sie es den Medien nicht mitgeteilt, um jeden Ansatz einer Hysterie zu vermeiden. »Sattler, ein Student und begabter Schachspieler aus Reutlingen, wurde vor einer Woche getötet. Auf die gleiche Weise wie Herr Grauselmaier.«
»Der Mord in Reutlingen? War das nicht diese perverse Sache mit der Säure?«
»Das war es, ja.«
»Und Martin wurde …« Die Frau sprach nicht weiter, begriff mit einem Mal, was die Kriminalbeamtin da angedeutet hatte. Sie starrte ihr Gegenüber fassungslos an, schüttelte den Kopf, sank in sich zusammen. »Aber warum nur, warum?«
»Das muss ich herausfinden«, antwortete Neundorf, »aber ohne Ihre Hilfe wird mir das nicht gelingen.« Sie ließ der Frau Zeit, das Gehörte zu verarbeiten, blickte nach draußen, sah die Schatten kleiner Wolken über Stuttgarts Dächer huschen. Wer hatte einen solchen Hass auf Martin Grauselmaier, dass er ihm das angetan hatte? Wo war die Ursache, wo der entscheidende Punkt?
»Es war derselbe Täter wie bei diesem Sattler?«, fragte Silvia Bäuerle. »Ohne Zweifel?«
»Alles spricht dafür. Die identische Ausführung der Tat, die gleiche Waffe.«
»Zuerst die Säure, dann erschossen?«
Neundorf nickte zustimmend.
»Ich kenne keinen Andreas Sattler und auch nicht den Mann mit dem anderen Namen, diesen …«
»Holdenried.«
»Holdenried. Es gibt keinen Zusammenhang mit Martin.«
»Wirklich nicht? Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber für meine Ermittlungen ist das äußerst wichtig. Kennen Sie Herrn Grauselmaier wirklich so gut, dass Sie sich zutrauen, diese Frage korrekt zu beurteilen?«
Silvia Bäuerle schwenkte mit nervösen Bewegungen ihr Taschentuch hin und her. »Wir sind …«, sie stockte, »wir waren ein Paar.«
Neundorf hatte schon ein skeptisches: Was besagt das schon? auf den Lippen, hielt es aber zurück. Sie musste der Frau vor ihr vertrauen, vorerst zumindest. Allem Anschein nach war sie die Person, die dem Politiker am nächsten stand, was immer das auch bedeuten mochte. »Ich benötige Namen«, sagte sie deshalb. »Leute, die irgendwann einmal etwas gegen Herrn Grauselmaier hatten. Gleich, was auch immer es war. Vielleicht stoßen wir in diesem Zusammenhang auf Sattler und Holdenried. Können Sie mir dabei helfen?«
Ihr Gegenüber saß kerzengerade auf der Kante des Sofas, betrachtete sie mit skeptischer Miene. »Leute, die etwas gegen Martin haben?«, wiederholte sie Neundorfs Worte. »Alle, von denen ich weiß?«
Die Kommissarin nickte. »Alle, bis auf den letzten. Wenn es Ihnen auch noch so geringfügig erscheint. Sie dürfen keinen auslassen. Nicht einen einzigen. Ist das möglich?«
Silvia Bäuerle signalisierte langsam, mit bedächtigem Kopfnicken ihre
Weitere Kostenlose Bücher