Schwaben-Herbst
Zustimmung. »Im Büro«, erklärte sie. »Dort haben wir Unterlagen.«
12.
Der Anruf des Mannes erreichte Braig am frühen Montag Abend. Er saß in seinem Büro, war gerade dem achten Hinweis auf die angeblich zum Opfer eines Überfalls gewordene Frau nachgegangen, wieder vergeblich. Ein älterer Mann aus Denkendorf hatte geglaubt, eine Nachbarin auf dem in der Zeitung abgedruckten Phantombild entdeckt zu haben – wie sich Braig selbst überzeugt hatte, irrtümlicherweise. Die Nachbarin war der abgebildeten Person in etwa so ähnlich wie ein Krokodil einem Affen, hatte er überlegt, als er vor ihr stand. »I seh halt nemme so gut wie früher«, hatte der Mann sich entschuldigt, als Braig ihn vorwurfsvoll zur Rede stellen wollte.
Am frühen Samstagmorgen war es Daniel Schiek, dem begabtesten Grafiker des Landeskriminalamts, gelungen, den Hinweisen Bernhard Bareiss’ Gestalt zu verleihen. »So in etwa«, hatte der Mann mit etwas verschlafener Miene erklärt, als das Gesicht der Frau nach etwa zwanzig Minuten gemeinsamer Bemühungen in realistischer Größe auf dem Bildschirm entstanden war, »das könnte hinhauen.«
Was den Täter anbetraf, sah die Sache erwartungsgemäß anders aus. Trotz mehrerer Anläufe und insgesamt fast drei Stunden währender Versuche hatten sie dem bisher noch Unbekannten keine eindeutig charakteristischen Gesichtszüge verleihen können. Bareiss’ Hinweise waren zu sehr im Vagen geblieben, seine Aussagen allzu deutlich von der Hektik der nächtlichen Ereignisse geprägt. »Sie dürfen nicht vergessen, wie spät es war und wie dunkel. Ich hatte keine Gelegenheit, den Kerl auch nur ein einziges Mal bei normalem Licht zu sehen. Die nächste Straßenlampe war weit entfernt, außerdem starrte er fast die ganze Zeit nach unten zu der Frau. Das Gesicht lag im Schatten, ich sah eigentlich nur seine Silhouette.« Bareiss hatte dennoch darauf bestanden, den Mann als nicht besonders groß, aber kräftig und sein Gesicht als breit und mit einem dicken Pickel oder einer Warze auf der linken Wangen verunstaltet zu beschreiben. »Außerdem roch er penetrant nach Rasierwasser«, hatte er hinzugefügt, »genauer gesagt, er roch nicht, er stank danach. Irgendein herbes Zeug, Marke unbekannt, das ihn wie eine Wolke umgab.«
Wenige Stunden später hatte Braig beide Bilder mit den entsprechenden Erklärungen an die Medien weitergeleitet. Bis zum frühen Montag Abend waren acht verschiedene Hinweise zur Person der unbekannten Frau eingegangen, bis auf den Tipp aus Denkendorf und einen anderen aus Plochingen alle aus Esslingen stammend – doch hatte bisher keiner auf die Spur der Gesuchten geführt.
Braig nahm den Hörer ab, wartete auf die Nachricht.
»Hier ist Bareiss«, hörte er die bekannte Stimme, »die Sache mit dem Überfall. Sie erinnern sich?«
Braig lachte sich den Frust der vergeblichen Bemühungen des Tages aus dem Leib. »Allerdings erinnere ich mich.«
»Ihnen scheint es ja gut zu gehen«, meinte der Mann. »Sie sind gut drauf, wie?«
»Gut drauf?« Braig wollte gerade zu einer geharnischten Antwort ansetzen und seinem Gesprächspartner von seinen vergeblichen Anläufen berichten, die angeblich überfallene Frau zu finden. Er wurde von Bareiss daran gehindert.
»Was glauben Sie, wo ich gerade bin?«, fragte der Mann.
»Woher soll ich das wissen?«
»Na, so gut sind Sie doch nicht drauf, wie? Ich nehme alles zurück.«
»Was wollen Sie mir mitteilen?«
»Sie werden es nicht glauben, aber ich habe sie gesehen.«
»Wen haben Sie gesehen?«
»Na, wen wohl?« Bareiss’ Stimme hatte einen vorwurfsvollen Ton angenommen. »Die Frau natürlich. Wen suchen wir denn?«
»Die Frau, die überfallen wurde?«
»Allerdings. Genau die.«
»Wo haben Sie sie gesehen?«
»Im Laden. Einem Supermarkt. Dort, wo ich oft einkaufe halt.« Er nannte den Namen und die Lage der Firma.
»In Esslingen?«, fragte Braig.
»Ja klar. Ich sagte Ihnen doch schon neulich, dass ich die Frau kenne. Die muss hier wohnen, ich habe sie schon öfter gesehen.«
»Wo ist sie jetzt? Bei Ihnen?«
Bareiss zögerte mit seiner Antwort. »Leider nicht, nein. Ganz so einfach ist es nicht.«
»Aber Sie wissen ihren Namen und die Anschrift.«
»Hören Sie zu«, erklärte der Mann, »es ist folgendermaßen. Ich kam von der Arbeit und zog mich um, kurz nach Fünf etwa. Da stellte ich fest, dass ich nichts zu trinken hatte, weil ich ja am Samstag nicht zum Einkaufen gekommen war. Sie wissen, weshalb. Also packte ich je zwei
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