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Schwaben-Herbst

Schwaben-Herbst

Titel: Schwaben-Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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Halten kam, sein Gegenüber voll ins Licht der Scheinwerfer tauchend. Braig sah, wie sie ihren rechten Arm hoch warf, um ihr Gesicht vor der Helligkeit zu schützen, hatte die Wunden über dem Auge, auf den Wangen und am Hals dennoch entdeckt. Dunkle Flecken, angeschwollene Hautpartien, ein Riss – der Frau war vor nicht allzu langer Zeit übel mitgespielt worden, das war nicht zu übersehen.
    »Sie wurden nicht überfallen?«, nahm er ihre Behauptung auf. »Weshalb ist Ihr Gesicht dann von Wunden übersät?«
    »Die Folgen eines Unfalls«, erwiderte sie. »Aber ich weiß wirklich nicht, was Sie das angeht.«
    »Was für ein Unfall?«, fragte er.
    Die Scheinwerfer des Autos waren immer noch voll auf sie gerichtet, so als stünde sie auf der Bühne eines Theaters, beobachtet von dem ins Dunkel getauchten Publikum. Für den Moment einer Sekunde ließ sie ihren Arm sinken, gab ihrem Gesprächspartner damit erneut die Gelegenheit, sie genau zu mustern.
    »Ich verstehe nicht, weshalb Sie lügen«, mischte sich Bareiss aus dem Hintergrund ins Gespräch, »aber ich weiß genau, dass Sie in der Nacht zum Samstag überfallen wurden. Ich war dabei, erinnern Sie sich nicht? Ich habe Ihnen geholfen.«
    Die Frau machte einen energischen Schritt zur Seite, tauchte ins Dunkel ab. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Ich hoffe aber, Sie lassen mich jetzt endlich in Ruhe«, erklärte sie mit ihrer heiser klingenden Stimme. »Ich bin müde. Wissen Sie überhaupt, wie spät es ist?«
    Braig hatte Mühe, ihre Gesichtszüge zu erkennen, nahm nur noch den Umriss ihres Körpers wahr.
    »Sie lügen«, wiederholte Bareiss, »warum?«
    »Ach, hören Sie doch auf. Ich weiß nichts von einem Überfall. Ich bin müde, sonst nichts.«
    »Es ist sehr spät«, gab Braig zu. »Aber wir benötigen Ihre Hilfe. Vielleicht können Sie uns den Mann beschreiben, der Sie so schrecklich behandelt hat.«
    Aus dem Fahrzeug, das neben ihnen angehalten hatte, stieg eine junge Frau. Sie verabschiedete sich mit lauter Stimme von dessen Fahrer, warf die Tür zu, lief im Scheinwerferlicht des Wagens an ihnen vorbei. Sie trug hohe Absätze, eng geschnittene Hosen, bewegte sich mit wiegenden Hüften auf das Haus vor ihnen zu. Braig sah, wie sie einen Schlüssel aus ihrer kleinen Handtasche zog, ihn ins Schloss steckte und dann die Tür öffnete. Sie wandte sich um, winkte dem Fahrer des Wagens, warf ihm eine Kusshand zu, verschwand im Haus. Braig hörte das Fahrzeug hinter sich hupen, schreckte zusammen. Verärgert drehte er sich zur Seite, nahm gerade noch die Bewegung wahr, zu der Ulrike Maier ansetzte. Sie tauchte aus dem Dunkeln, sprang auf die Haustür zu, wand sich ins Innere. Als der Motor hinter ihnen laut aufheulte, war sie im Haus verschwunden.
    »Halt! Wir wollen mit Ihnen …« Braigs Stimme ging im Lärm des davonjagenden Wagens unter.

15.
    Das Haus lag unweit des Bahnhofs von Hechingen. Es handelte sich um ein gepflegtes, von einem kleinen Nutz- und Ziergarten umgebenes Gebäude im landschaftstypischen Stil mit rotem Ziegeldach, hellen Wänden, großen rechteckigen Fenstern. Neundorf lief auf die niedrige Gartentür zu, las die Namen auf einer fein ziselierten Keramiktafel, die in eine niedrige Steinsäule eingelassen war. Gerlinde, Heiko, Michael, Julia Gerwald.
    Noch ehe sie sich nach dem Klingelknopf bücken konnte, wurde die Haustür geöffnet. Ein mit einer dicken dunkelbraunen Weste und schwarzen Jeans bekleideter Mann stand leicht vornüber gebeugt mit hängenden Schultern auf der Schwelle. Er schien um die Fünfzig, hatte ein bleiches, von schmalen hohen Wangen geprägtes Gesicht.
    Sie schob die niedrige Pforte auf, ging wenige Meter auf ihn zu, blieb dann stehen. »Neundorf vom LKA«, stellte sie sich vor, »wir haben miteinander telefoniert.«
    Der Mann nickte, bat sie ins Haus. Sie hatte ihn am frühen Morgen, noch von ihrer Wohnung aus, angerufen und um einen Gesprächstermin gebeten.
    »Sie können kommen, wann immer Sie wollen«, hatte Gerwald geantwortet, »ich bin immer da.«
    Verwundert hatte sie sich für sein Angebot bedankt und ihren Besuch gleich für den Vormittag angekündigt.
    Gerwald führte sie in ein relativ kleines, gerade mal vier auf fünf Meter messendes Zimmer, bat sie, sich auf einem der Stühle niederzulassen. Ein Tisch, sechs Stühle, ein großes Fenster, mehr gab der Platz nicht her. Sie setzte sich auf einen der Stühle, sah die Umrisse der Burg Hohenzollern in den Himmel ragen, wurde sich plötzlich der absurden

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