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Schwaben-Wut

Schwaben-Wut

Titel: Schwaben-Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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Becks Brille hatte in der Tat bei der gesamten Belegschaft die Runde gemacht. Am Tag, als er das in einen schlichten, hellen Metallrahmen eingefasste Stück zum ersten Mal getragen hatte, war Beck auf dem Weg ins Landeskriminalamt zufällig Zeuge einer heftigen tätlichen Auseinandersetzung zwischen mehreren Türken sowie deutsch-russischen Zuwanderern geworden. Couragiert, wie er war, hatte er in Zivil zu schlichten versucht, war dabei aber in die Fänge einer längst von verängstigten Passanten alarmierten Polizeistreife geraten, die glaubten, er gehöre zu einer der Gruppen. Bei seinen vergeblichen Bemühungen, sich den beiden besonders begabten Beamten als Kollege auszuweisen, hatten nicht nur seine neue Brille, sondern auch er selbst einiges abbekommen: Während sich die türkischen und russlanddeutschen Schläger allesamt entfernen konnten, ohne dass eine einzige Personalie aufgenommen worden war, hatten sich die zwei Kollegen mit Beck eine wahre Prügelorgie geliefert, die zu guter Letzt beide kampfunfähig am Tatort zurückließ: Beck hatte sich, um seine von der Nase gerutschte Brille vor weiterem Schaden zu bewahren, auf den Boden gebückt, um das wertvolle Stück im Fall aufzufangen, als der ihm zugedachte Kinnhaken des einen Streifenpolizisten dessen Kollegen von den Beinen riss. Dummerweise hatte sich der Mann im Fallen an seinem Partner festgeklammert und diesen dadurch zu Boden gezogen, wobei beider Nasenbeine gebrochen wurden.
    Beck war als Einziger einigermaßen unversehrt von der Walstatt weggekommen. Nur das Gestell seiner Brille zeigte sich seltsam verformt. Sie wieder korrekt gerade zu biegen, war zwei verschiedenen Optikermeistern nicht ganz geglückt. Beck hatte das neue Stück trotzdem getragen – Tag für Tag. Sein vom Kollegen verpasstes blaues Auge war dagegen nach kurzer Zeit geheilt. Die beiden Stuttgarter Polizeibeamten wurden von der Boulevardpresse daraufhin als »Schwabens dümmste Polizisten« gebrandmarkt, stellte sich doch bald heraus, dass sämtliche Passanten in der Umgebung Becks Schreie, er sei Kollege, laut und deutlich vernommen hatten – nur die beiden Kampfhähne nicht. Retterle und Speckmaier, wie die zwei Streifenpolizisten hießen, machten seitdem immer wieder unangenehm von sich reden.
    »Ich trete leider auf der Stelle«, sagte Braig, »komme überhaupt nicht vorwärts.«
    Beck trat näher, schaute auf Braigs Schreibtisch. »Oh, du arbeitest jetzt auch bei uns mit?«
    Braig verstand nicht. »Wieso?«
    Beck betrachtete das Fahndungsfoto neben dem Monitor.
    »Gibt es einen Anlass, zu vermuten, dass Stecher jetzt blonde Haare trägt? Etwa eine Perücke als Verkleidung?«
    Braig schaute zu seinem Kollegen, dann auf das Foto. »Wie bitte?«
    Erwin Beck nahm das Blatt in die Hand, betrachtete es von verschiedenen Seiten. »Naja, der Haarlänge nach muss es eindeutig eine Perücke sein. Im Vergleich zu der Stoppelfrisur, die er bei seiner Flucht trug.«
    Braig fiel es wie Schuppen von den Augen. »Stecher?« Er starrte auf das Foto. »Willst du etwa sagen, dass der Kerl hier euer Stecher sein soll?«
    »Wer denn sonst? Oder fahndest du nach seinem Doppelgänger?« Beck nahm seine Brille ab, musterte die abgebildete Person aus nächster Nähe. »Na ja, gut, die Backen sind etwas schmal, aber das hat man schnell, wenn's mal weniger zu essen gibt. Folge des Aufenthalts im Bau, wie? Und die Haare – aber wie gesagt, mit Perücke kein Problem.«
    »Ich werd' verrückt«, stammelte Braig, »du glaubst allen Ernstes, der Kerl hier sei euer Stecher?« Er schüttelte den Kopf, packte Beck an der Schulter. »Ich suche den Typ, weil ihn drei verschiedene Zeugen in der Nähe des Tatortes in Backnang beobachtet haben. Der Mord an dem Makler. Nie im Leben wäre ich drauf gekommen, dass es Stecher sein könnte.«
    Beck stand die Überraschung genauso ins Gesicht geschrieben wie Braig. Er reagierte schnell. »Komm her«, forderte er den Kollegen auf, »schau dir den Kerl an, bevor wir nach Heilbronn fahren.«
    Sie liefen in Becks Büro, studierten eine Serie von Fotos, die Andreas Stecher in den verschiedensten Phasen seines Lebens zeigten. Ein schmaler Junge, schüchtern in die Kamera lächelnd, vielleicht zwölf, dreizehn Jahre alt, dann dieselbe Person ein, zwei Jahre später, in einem dunklen Anzug, wohl anlässlich der Konfirmation. Wieder etwa zwei Sommer später ein jetzt grimmig dreinblickender Heranwachsender, die Haare deutlich kürzer. Die Veränderung des jungen Menschen in

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